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Aus dem Überall

Aus dem Überall

Titel: Aus dem Überall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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kam zuletzt, stemmte die gewaltigen Hände schwer an das Glas und starrte herein. CP war sicher, daß er ihr etwas mitteilte, aber sie fand keinen Namen dafür.
    Dann wandten sich alle um und gingen oder schlenderten oder hoppelten fort, wie sie gekommen waren, und nahmen den ›Wächter‹ mit. Die ›Waldarbeiter‹ folgten ihnen. CP starrte ihnen überrascht nach.
    Sie waren einfach gegangen und überließen sie allein dem Tod. Was aber hätte sie erwarten können?
    Aber seltsam – sie waren zum Beispiel nicht auf die Sterne neugierig und nicht auf die Erde.
    Und was war es gewesen, das sie ihr als letztes hatten sagen wollen? Natürlich – »Lebewohl«.
    »Lebt wohl«, sagte CP leise durch den Lautsprecher in die fremde Luft.
    Dann begann eine sehr einsame Zeit. Sie wartete darauf, in der Schönheit dieses Sumpfes zu sterben. CP begann sich zu wünschen, sie hätte eine bessere Aussicht. Sie beschloß, bald schon, bevor die Luft verbraucht war, hinauszugehen und auf eine Art Aussichtspunkt zu klettern, bevor sie starb.
    Einem Impuls folgend, stellte sie die Erdzeituhr, die beim Aufprall stehengeblieben war, auf Batteriebetrieb um. Sie, die für immer von der Erde geflohen war, spürte nun dennoch die Sehnsucht, in der Zeit der Erde zu sterben. Soviel Nostalgie war ihr geblieben. Das und ihr kleines Buch mit Gedichten.
    Sie hatte den Schaden, den der Captain verursacht hatte, schon lange repariert. Es war nur eine Seite verloren. Sie versuchte, das Gedicht aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren:
     
    Zarte irre Hände rütteln am verhaßten Gitter;
    auch hier sind Blumen, die sich um die Stäbe ranken.
    Wie bloßes dünnes Stroh umgeben sie den Käfig,
    sein enges Universum, auf das die Welt so düster starrt.
    So eng und so bedauernswert, oh …
    doch weiß die Welt, was seine Träume offenbaren –
    Bilder, die berauschend sind wie Wein
    und seine Einsamkeit den Sternen ebenbürtig werden  lassen.
    Oh, armer, armer Bruder, mögen jene dich bedauern,
    ich aber sehne mich nach der Verheißung deiner müden  Augen:
    des Narren Königreich, weit entfernt von ihrem eitlen  Leben.
    Oh, teurer noch als todgeweihte Frühlingsblumen
    sind mir deine mondgeküßten Rosen.
    Besser noch als Liebe oder Schlaf scheint mir
    die sternbekränzte Einsamkeit, in der du dich verlierst. {2}
     
    Sie hatte manches verdreht, aber die wichtigsten Zeilen wußte sie noch. Sie hatten sie während all ihrer Jahre hinter den verhaßten Gitterstäben begleitet. Nun, sie hatte die Sterne gesehen, und jetzt hatte sie die mondgeküßten Rosen und das Königreich des Narren. Sie würde gleich die Schleuse öffnen und hinausgehen, um es in Besitz zu nehmen …
    Es war spät am sechsten Tag der vielleicht fünfzehn, die ihr noch blieben, als ein neuer Besucher kam. Sie beobachtete den Pfad schon lange nicht mehr, doch nun spürte sie, wie etwas an ihrer Aufmerksamkeit zerrte. Zuerst sah sie nichts, und sie wollte sich schon wieder abwenden. Doch dann erkannte sie in der Ferne eine einzelne, seltsame Gestalt. Schnell, das Fernglas. Das Wesen entpuppte sich als Alien, der dem ersten Besucher ähnlich sah, aber er war rot und – ja, er trug einen viel kleineren Alien auf den Schultern oder wurde von ihm geritten. Und sie sah, daß der kleinere Alien keine Beine und nur ganz winzige Arme hatte. Sie hatte den starken Eindruck von Müdigkeit, von einem fernen Ziel, das erreicht werden mußte. Sie waren, dachte sie, von sehr weit her gekommen.
    Dann verstand sie: Diese Welt war riesig, und sie wußte nichts über ihre Transportmittel, falls es überhaupt welche gab. Vielleicht mußten alle, die die Calgary sehen wollten, zu Fuß laufen, selbst von der anderen Seite des Planeten aus?
    Sie beobachtete die beiden und wagte kaum zu blinzeln. Sie kamen müde näher, bis sie mit bloßem Auge gut zu erkennen waren. Der größere hob den Kopf und bemerkte sie. 
    *
    Sie war auf das Gefühl, das sie durchfuhr, nicht vorbereitet – wie ein freudiger Begrüßungsruf.
    Daß sie noch lebte! Hatte dieser Alien Angst gehabt, er würde zu spät kommen, sie wäre schon gestorben, bevor er oder sie hier eintraf? Das mußte es sein.
    Als der Alien näherkam, bemerkte sie etwas Seltsames an seinem Kopf – wo die anderen hochstehende ›Ohren‹ oder fühlerähnliche ›Antennen‹ hatten, besaß dieser große, dreieckige, samtige Klappen, die ihm fast über die Augen fielen. Wo hatte sie das schon einmal gesehen? Oh, Gott – das Lachen tat beinahe weh. Sie erkannte

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