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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Wir waren nur kurze Zeit beisammen, und dennoch sank er in mich hinein, so daß er noch heute meine Träume stört. Ich sehe dann sein Gesicht, das sich seltsam veränderte, wie wir durch die 46

    Gassen unserer Stadt gingen, denn es schien auseinanderzu-brechen und es war, als würde es sich von innen öffnen. Er erzählte mir nicht, wer ihn geboren und wer sein Vater gewesen ist, auch verschwieg er den Beruf, den er ausübte, wie ich auch nie seinen Namen erfahren habe, doch muß er ein hoher Beamter gewesen sein. Er zeigte mir, wie er verführt wurde, und dies nicht durch Gold oder ein Weib, sondern allein durch sich selbst. Ihn besiegte der Tod, der zu ihm gehörte, wie ein Arm zum Leib, oder ein Auge zum Gesicht gehört, den er aber zu besitzen glaubte, wie wir eine Karte besitzen, die wir als entscheidende Größe ins Spiel werfen. Doch war diese Karte gefälscht, denn in Wahrheit trieb ihn die Todesfurcht, die er so tief in sich vergrub, daß er zu lieben meinte, was er fürchtete, und er verzweifelte, weil er sie nicht überwinden konnte. Ich habe seine Stirne gesehen und seine Hände, und ich weiß, daß er nie Freude genossen hat um seines Todes willen. Von Jugend an war er entschlossen, Selbstmord zu begehen. Er studierte den Tod, kaufte sich Waffen, stellte die seltensten Gifte her, konstruierte sich eine Guillotine. Er spielte mit dem Tod, bis er sich selbst verspielte und sein Leben zur Lüge wurde, durch den Mord aber hoffte er sich zu befreien und der Furcht zu entgehen, die ihn auch bestimmt hatte, sein Amt eines Morgens zu verlassen, sich aufzumachen und die Stätte seines Todes zu suchen.
    Er verließ damals mit der Absicht, sich zu töten, so spät am Nachmittag den warmen Wagen, der ihn mit vereisten Fenstern umgeben hatte, daß er kaum einen Blick auf die niedrigen Hügel werfen konnte, denn die Nacht kam früh und schnell. In der Nähe der kleinen Station waren in der Dämmerung einige Häuser wie Tiere, die schlafen, und auf der Straße lag der Schnee und gelbes Licht einer Laterne, so daß er wie im Traume ging. Es war nun die Zeit angebrochen, die er im kleinen Grenzdorf zwischen den Hügeln und am Fluß verbrachte, in weißen Wintertagen verloren, die ihn mit ungeheu-47

    rem Schweigen umspannten und in denen sein Leben versank.
    Er ging die Hügel hinauf und über die langgewellten Berg-kämme den Hochebenen entlang, die sich vor dem fernen Gebirge mit verschneiten Tannenwäldern und verlassenen Dörfern lagerten. Er schritt stundenlang in geheimnisvollem Dunkel, und der Wind umkreiste ihn pfeilschnell in den Nächten. Sein Fuß schritt über den gläsernen Schnee, auf dem sein Schatten blau und groß lag. Die Bäume standen schwarz vor dem weißen Himmel, und hin und wieder schritt ihm ein Mensch entgegen, eng in den zottigen Pelz gehüllt und im roten Gesicht die Augen verkniffen. Auch stand er manchmal auf der Brücke am Fluß, der sich trüb unter ihm wälzte, Eis herantreibend und faules Holz. Dann stieg er die winterliche Straße hinauf, die gegen Norden führte, wo ihn schwarze Vögel umflatterten, die ihn mit ihren Schwingen streiften. Im Dorf aber war er seltener und schaute den Menschen zu. Er stand frierend zwischen den Häusern, die weit voneinander entfernt der Straße entlang lagen, ein Dorf ohne Kirche und Friedhof, ohne Mitte und ohne Form. Er sah in den dreckigen Spelunken Menschen geduckt und mißtrauisch sitzen. Das Dorf war voll von Fremden, von denen niemand wußte, woher sie kamen und wohin sie gingen, was sie vorhatten und in welchen seltsamen Sprachen sie miteinander redeten. Sie standen in breiten karierten Mänteln breitbeinig mit großen Gesten mitten auf der Straße und hatten goldene Ringe mit blitzenden Diamanten an den Fingern. Oft versuchten sie die Grenze zu umgehen, indem sie die Wächter bestachen, die auf ihren Posten hockten oder tief im Dunkel der Kantinen tranken, Männer, die im Dorf nur zu sehen waren, wenn sie betrunken über die Straße zu den Frauen wankten, die in kleinen Kammern unter den Dächern lagen, lüstern und weiß, vom Mond beleckt, der über ihre Leiber strich. Dann brachen die Nächte herein, die voll Blut waren. Sie hallten von kurzen, trockenen Gewehrschüssen wider und er hörte Schreie, die 48

    langsam in den Wäldern erstickten, doch erlebte er dies alles nur wie von ferne und ohne Anteilnahme. Er dachte an seinen Tod, ihn immer tiefer genießend, und ließ sich treiben. Er betrat den Wald, durch den die Grenze lief. Die Tannen

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