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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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die erste Blöße, die es auszunutzen galt.
    Ich lachte: »Ich bedrohe die Stadt, das kann ich mir denken!« Der Beamte schaute mich schweigend und, wie mir schien, mit einer gewissen Verwunderung an, als komme ihm mein Schluß seltsam vor.
    »Die Stadt fürchtet mich«, sagte ich, zwar gleichmütig, aber in Wirklichkeit etwas unsicher. »Ich lasse mich nicht einteilen.«
    »Davon kann keine Rede sein«, antwortete endlich der Beamte. »Wir fürchten uns vor niemandem. Aber Sie bedrohen sich selbst, das beunruhigt uns, nur das. Sie haben die Welt immer noch nicht begriffen.« Draußen lachten wieder die Kinder.
    »Dann ist die Welt von denen begriffen worden, die sich in die staubigen Magazine oder in die verdreckten Landwirt-schaftsbetriebe einteilen ließen, von denen, die sich in den endlosen Fabriken zu Tode arbeiten, wenn sie sich nicht gar entscheiden, bei einer Kehrichtabfuhr mitzumachen, die noch nicht richtig funktioniert«, entgegnete ich, durch das Kinderge-lächter geärgert, und blies dem Beamten eine Schwade Ziga-rettenrauch ins Gesicht. Doch blieb er unbeweglich und schien meine Unhöflichkeit nicht zu beachten.
    »Sie verachten die Leute«, antwortete er, »doch sind Sie der Chance näher, die uns noch geblieben ist.«
    »Wir haben keine Chance, es sei denn, daß Sie das Ziel, Vorarbeiter zu werden, eine Chance nennen«, sagte ich. »Die Verwaltung hat dafür gesorgt, daß es keine Chance gibt, und verwandelt die Welt in einen Termitenhaufen. Ich war Soldat.
    Ich habe für eine bessere Welt gekämpft.«
    »Sie hatten den Auftrag, Banditen zu bekämpfen«, verbes-119

    serte er mich und hob ein wenig die Brauen, eine Bewegung, die ich immer dann bei ihm feststellte, wenn er in die Enge getrieben war.
    »Wir kämpften gegen die Banditen für den Frieden, für die Freiheit, für eine bessere Zukunft und für weiß Gott was alles«, fuhr ich hartnäckig fort. »Und jetzt sind dieser Friede und diese Freiheit gekommen. Wir suchten Wasser und fielen in einen Sumpf.«
    »Wir haben Sie lange beobachtet«, sagte der Beamte und setzte sich aus seiner etwas gebückten Haltung gerade und steif aufrecht. Er legte beide Unterarme auf den Tisch und fuhr fort, während draußen die Kinder immer lärmender wurden:
    »Sie machten die Kämpfe bis in ihre letzten Ausläufer mit. Sie beteiligten sich noch bei den Alpenkriegen. Die Verwaltung hat einige Male versucht, Sie zurückzuziehen, aber Sie weiger-ten sich.«
    »Ich konnte meine Kameraden nicht im Stich lassen«, warf ich ein.
    »Sie kämpften in einer Elitetruppe, die aus Freiwilligen bestand. Jeder Ihrer Kameraden konnte sich wie Sie jederzeit aus dem Krieg zurückziehen. Keiner hat es getan. Sie sagen, Sie hätten für die Freiheit gekämpft. In Wirklichkeit kämpften Sie, weil der Krieg für Sie ein Abenteuer war.«
    »Waren Sie je im Krieg?« fragte ich neugierig.
    »Nein«, bestätigte er meine Vermutung.
    »Sehen Sie«, sagte ich, »das habe ich mir gedacht. Der Krieg ist kein Abenteuer, wie man sich das so von seinem Bett aus träumt, sondern eine Hölle.«
    »Würden Sie sich wieder freiwillig stellen?« fragte er mit einem seltsamen Zögern. Ich sah in seinen Augen die Spannung, mit der er meine Antwort erwartete.
    »Gibt es denn irgendwo noch Krieg?« fragte ich mißtrauisch, da ich die Falle witterte, die er mir stellte.
    »Im Tibet«, antwortete er.

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    Hier begann das Gespräch mit dem Beamten für mich wichtig zu werden. Ich hatte mich bis jetzt treiben lassen, nur dadurch in Spannung gehalten, daß ich aus Zufall mit jenem Menschen sprach, den zu töten ich beschlossen hatte. Nun ahnte ich, wenn auch noch unbestimmt, daß es noch eine andere Möglichkeit gab als den Mord, diese Welt zu ertragen, jene, in den Krieg zurückzukehren. Es war mir zwar ganz klar, daß es dem Beamten vorerst gar nicht darum ging, mir diesen Antrag zu stellen, er wollte, eigensinnig wie nun einmal die Beamten sind, nur in seiner Ansicht recht behalten, daß für mich der Krieg ein Abenteuer gewesen sei; doch meinem Ziel zuliebe, in den Krieg zurückzukehren als den einzigen Ausweg aus meiner hoffnungslosen Situation, mußte ich ihm hier den Sieg lassen, denn nur mit großer Geduld war bei ihm etwas auszurichten.
    »Natürlich würde ich mich melden, wenn dies möglich wä-
    re«, sagte ich. »Sie sehen, ich gehe ruhig in die Falle, die Sie mir stellen. Aber Sie kennen den Krieg nicht, und so ist jetzt Ihr Schluß falsch. Der Krieg ist eine Hölle, aber wenigstens eine

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