Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
Staatskanzlei Düsseldorfund hat bis zu seiner Pensionierung über diese brisanten Dokumente Stillschweigen bewahrt. Nicht zuletzt, um sich und seine Familie zu schützen. Es lag ihm allerdings am Herzen, diese Dokumente und das Leben seines Vaters gewürdigt zu wissen. Eine wissenschaftliche Arbeit erschien ihm dafür als eine gute Möglichkeit.
Als ich im Zusammenhang mit meiner Berufsanerkennung erwähnte, promovieren zu wollen, schlug er mir vor, diese Dokumente auszuarbeiten. Mit den Recherchen begann ich aber erst 2001, und 2007 wurde die Arbeit an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität angenommen. Wie Sie sehen, bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, Hitlers Zahnarzt ausfindig zu machen, das Thema ist mir sozusagen in den Schoß gefallen.
Ganz am Anfang habe ich mir überhaupt nicht vorstellen können, mich mit so einem Thema zu befassen. Ich dachte, die Geschichte ist mir ein paar Nummern zu groß. Mein damaliger Mann hat mir Mut gemacht: Stell dir vor, eine alevitische Kurdin aus Anatolien schreibt über eine Person aus dem Dritten Reich! Diese Begeisterung von ihm hat mich angesteckt.
MB: Was haben Sie gefühlt, als Sie sich durch die Akten gewühlt haben? Das Ganze ist ja nicht nur ein zahnkundliches Kuriosum, sondern hängt auch mit vielen Schicksalen, mit Nazis, mit Karrieren und Lebensläufen zusammen. Können Sie nachvollziehen, dass Blaschke, um ein großes Zahnhygiene-Programm durchzuziehen, in die SS eintrat? Oder halten Sie den Schritt für ein Lehrstück in Sachen Opportunismus?
MDH: Wie bereits erwähnt, war mir bei diesem Thema ziemlich unbehaglich zumute. Ich durfte mir keinen Fehler leisten, denn ich war so leicht angreifbar: Keine Historikerin, mit einem historisch hoch brisanten Thema, keine Deutsche mit einem, na ja, »deutschen« Thema – dies und weitere Bedenken haben mich manchmal regelrecht gelähmt. Mein Doktorvater, der leider im Jahr 2009 verstorbene Medizinhistoriker Prof. Hans Schadewaldt, sagte mir, es sei gut, dass ich gar keine persönliche Verbindung zu dem habe, worüber ich arbeite. Er hatte recht – ein Abstand warda; ich bin keine gebürtige Deutsche und gehöre auch nicht einer im Dritten Reich verfolgten Gesellschaftsgruppe an. Als Mensch wird man jedoch berührt, egal, woher man kommt.
Blaschke war ein Opportunist, keine Frage. Er hat seinen Beruf gerne ausgeübt, und sein Opportunismus diente ihm auch dabei; er konnte neue Konzepte entwickeln (Reihenuntersuchungen, Prophylaxe …) und durchführen. Er hat aber auch hier und da, wenn es nicht lebensgefährlich war, den Regimegegnern geholfen. Das kann man Menschlichkeit nennen, man kann es aber auch für einen weiteren Beweis seines Opportunismus halten.
MB: Wenn Sie heute an Ihre Doktorarbeit zurückdenken: Was war für Sie bei Ihren Nachforschungen und Archivarbeiten am erstaunlichsten?
MDH: Wie leicht ich an Blaschkes SS-Unterlagen und seine Gerichtsakte aus Langwasser gekommen bin, obwohl er von mehreren Kollegen und Historikern nach dem Krieg für verschollen erklärt wurde. Man hatte sich, um Näheres zu erfahren, wohl nicht an die Archive gewandt. Ebenso verblüffend fand ich, wie gleichgültig die Berufsverbände der Zahnärzte der Aufarbeitung ihrer Beteiligung im Dritten Reich gegenüberstanden und -stehen. Sehr spannend war auch, Blaschkes zweite, um 36 Jahre jüngere Ehefrau anzutreffen. Ich hatte sie mit einem fast kindlichen Glauben daran, dass sie noch lebt, gesucht und tatsächlich gefunden. Sie gab mir sogar ein Interview, das ich in meine Arbeit eingebracht habe.
MB: Wie empfinden Sie den Rummel um Hitlers Zähne? Er hatte ja offenbar fürchterlichen Mundgeruch, dürfte angesichts der vielen fehlenden Zähne auch Schmerzen gehabt haben – ist Ihnen der Mensch Hitler da nähergekommen? Oder finden Sie alles nur noch schrecklicher als vorher?
MDH: Das ist eine Frage, deren Antwort mir sehr am Herzen liegt: Es ist tragisch und gleichzeitig von einer unvergleichlichen Komik, annehmen zu wollen, Hitlers Zahnschmerzen hätten zu seinen Fehleinschätzungen, seinen unmenschlichen Entscheidungen beigetragen. Dies zeugt wohl von dem verzweifeltenWunsch, eine Erklärung seiner ungeheuerlichen Taten zu finden. Hitler hatte viele Probleme mit seinen Zähnen – wie viele andere Menschen auch. Man ist immer wieder versucht, Hitler zu einer anderen Spezies zu machen, vielleicht sogar mithilfe seiner schlechten Zähne, immer bedacht, zwischen sich und ihm einen Abstand herzustellen, um als
Weitere Kostenlose Bücher