Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
langsam.«
Die Vorstellung, dass ein Mensch wie Garavito überhaupt weinen kann, wirkt im ersten Moment überraschend. Dass er seine Tränen aber sicher nicht aus Mitleid mit seinen Opfern, sondernaus Selbstmitleid vergoss, merkt man an den Formulierungen, die er benutzt, wenn er von seiner Schuld spricht: »Diese Tragödie, die ich verursacht habe, hat mir sehr viele Schmerzen und Leiden zugefügt.« – »Ich bedauere, was diesen Familien zugestoßen ist, und die Leiden, die ich mir selbst zugefügt habe.« – »Ich würde mein Leben dafür geben, dass die Opfer wieder leben könnten. Aber ich kann es nicht.«
Garavito meinte die im Zusammenhang hohl klingende Aussage, er würde sein Leben dafür geben, die Opfer wieder lebendig zu machen, nicht ernst. Denn hätte er auch nur ansatzweise die Schuldgefühle empfunden, die er recht oberflächlich vortäuscht, dann hätte er wohl kaum jahrelang ein Reisetagebuch führen können, in dem er die unvorstellbare Zahl seiner Mordopfer verschlüsselt mit Anmerkungen zu den Taten notierte, um sie wie Trophäen an einem sicheren Ort aufzubewahren.
Monster unter der psychologisch-psychiatrischen Lupe
Psychologen und Psychiater benutzen kompliziert klingende Fachbegriffe, um Eigenschaften von psychisch auffälligen Straftätern zu beschreiben. Die verhängnisvolle Mischung von Garavitos Eigenschaften lässt sich auseinandernehmen und in ihrem Zusammenspiel erklären. So wird das, was er tat, und wie er sich bis heute verhält besser nachvollziehbar.
Viele seiner Eigenschaften besitzen auch andere Straftäter. Im Laufe dieses Buches werden Sie sehen, welche Eigenschaften bei unterschiedlichen Verbrechern besonders oft vorkommen, wie Fachleute diese Eigenschaften nennen und wie sich diese Eigenschaften auf die Art der begangenen Verbrechen auswirken. Diese Informationen werden auch bei der Erstellung von Täterprofilen, besser bekannt unter dem US-amerikanischen Wort Profiling, benutzt.
Garavito würde ein Psychologe oder Psychiater mit folgenden Fachbegriffen – die ich noch erklären werde – beschreiben: Er zeigt sowohl Merkmale einer narzisstischen als auch einer antisozialenPersönlichkeitsstörung. Insgesamt ergibt sich das Bild eines Psychopathen. Seine Sexualität ist von pädophilen, sadistischen sexuellen Fantasien und Handlungen geprägt.
Ich werde, wie gesagt, diese Begriffe und Persönlichkeitsveränderungen im Folgenden ausführlich erklären. Sie werden sehen, dass es sich um eine Art Baukasten für einen der gefährlichsten Tätertypen handelt, die wir kennen.
Ein interessanter Punkt in Garavitos Fall ist seine Behauptung, zumindest vor einigen Morden dämonische Stimmen gehört zu haben, die ihn zum Töten angestachelt haben sollen. Zu beurteilen, ob das möglich ist oder ob er sich diese Geschichte nur ausgedacht hat, um eine mildere Strafe zu bekommen, ist nicht ganz einfach. Garavitos Fall ist aber ein schönes Beispiel dafür, dass ein Psychologe oder Psychiater mithilfe einer genaueren Überprüfung dieser Geschichte doch zu einem schlüssigen Ergebnis kommen kann.
Ich erlebe immer wieder, dass besonders Polizeibeamte das Vorurteil haben, ein Straftäter müsste nur von Stimmen erzählen, die ihm etwas befohlen haben, und schon würde ein Gutachter ihn als schizophren einstufen. Dieses Vorurteil lässt sich an Garavitos Beispiel gut widerlegen, wie ich noch ausführlich im Unterkapitel des 3. Kapitels »Stimmen im Kopf, Alkohol und viele Personen in einem Körper« (S. 142 ff.) erklären werde.
Narzissmus
Laut den beiden international verwendeten aktuellen Handbüchern für psychische Erkrankungen hat ein Mensch eine »narzisstische Persönlichkeitsstörung«, wenn auf ihn mindestens fünf der neun folgenden kurzen Beschreibungen zutreffen. Vielleicht kennen Sie Menschen in ihrem Umfeld, die dieser Beschreibung entsprechen. Besonders in Führungspositionen findet man Narzissten auffällig oft.
1. Der Narzisst glaubt, ganz besonders wichtig und großartig zu sein. Anderen Menschen gegenüber übertreibt er die eigenen Fähigkeiten und in seinem Leben bisher erbrachten Leistungen. Er erwartet, dass andere Menschen ihn als ganz besonders fachkundig und klug einschätzen und sich selbstverständlich nach seinen Ansichten, Meinungen und Wünschen richten. Sie sollen ihre Bewunderung ihm gegenüber auch möglichst oft und ausgiebig zeigen.
2. Die Zukunftsträume des Narzissten sind völlig unrealistisch. So meint er, dass er schon jetzt oder aber
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