Aus der Dunkelkammer des Bösen - Benecke, M: Aus der Dunkelkammer des Bösen
davon, mit seinem Nachnamen für eine neu entdeckte psychische Störung zu stehen. Er und seine Leser wollten nicht mit Krafft-Ebings Buch in Verbindung gebracht werden, doch die Proteste dagegen blieben erfolglos, es blieb bei dem Begriff »Masochismus«.
Das eigentlich als wissenschaftliches Fachbuch gedachte Psychopathia sexualis wurde zur großen Überraschung Krafft-Ebings ein Kassenschlager. Anscheinend war das bis heute bekannte Motto »Sex verkauft sich gut« Krafft-Ebing unbekannt. Umso beeindruckter war er von der einschlagenden Wirkung seines Werkes: Er wurde mit Zuschriften von Menschen mit ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben überhäuft, die bis dahin dachten, sie wären die einzigen Personen auf der Welt mit solchen Bedürfnissen. Im Vorwort zur 11. Auflage schrieb Krafft-Ebing: »Der unerwartet große buchhändlerische Erfolg ist wohl der beste Beweis dafür, dass es auch unzählige Unglückliche gibt, die in dem sonst nur Männern der Wissenschaft gewidmeten Buche Aufklärung und Trost hinsichtlich rätselhafter Erscheinungen ihrer eigenen Vita sexualis (sprich: ihres eigenen Sexuallebens) suchen und finden.«
In den folgenden hundert Jahren veränderte sich die Welt schnell und extrem. Was gut und schlecht, richtig und falsch war, wurde komplett neu diskutiert. Plötzlich wurde öffentlich darüber geredet, in welchem Rahmen Menschen ihre Sexualität frei gestalten können, ohne dafür ins Gefängnis zu kommen – beispielsweise wurde Homosexualität in Deutschland erst ab 1969 Schritt für Schritt legalisiert – oder als psychisch krank eingestuft zu werden. Psychiater und Psychologen diskutierten, forschten und mussten ihre noch an Sigmund Freund angelehnte Vorstellung, dass jedeForm von Sexualität außer dem heterosexuellen Geschlechtsverkehr krankhaft sei, infrage stellen.
1994 einigten sich die Mitglieder der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung schließlich darauf, die Merkmale der sexuellen Vorlieben »Sadismus« und »Masochismus« so zu verändern, dass sie nicht mehr automatisch als Störungen angesehen werden. Es wurde von nun an zwischen nichtkrankhaftem und krankhaftem Sadismus unterschieden.
Gesunde und kranke Sadisten
Der psychisch gesunde Sadist leidet – sofern er von seinem Umfeld nicht wegen seiner Neigung ausgegrenzt wird – nicht unter seiner sexuellen Neigung und fühlt sich durch sie auch nicht in seinem Leben beeinträchtigt. Seine Sexualität kann er grundsätzlich auch ohne sadistische Bestandteile (wie Erniedrigung oder Schmerzzufügung gegenüber dem Sexualpartner) ausleben. Gebraucht er sadistische Praktiken zur Ergänzung seiner Sexualität, dann nur in gegenseitigem Einverständnis mit einem Partner, der das auch angenehm findet (also einem Masochisten, der durch Erniedrigung und/oder Schmerzen erregt wird). Ein Sadist, der seine Neigung einvernehmlich auslebt, weder Leidensdruck verspürt noch Probleme im alltäglichen Leben dadurch erlebt und auch keine anderen psychischen Störungen hat, ist also nach heutigem Stand der Forschung psychisch gesund.
Menschen mit einer harmlosen sadistischen Neigung leben diese meist in einer Partnerschaft aus oder schließen sich sadomasochistischen Gruppen an. Sie sind psychologisch gesehen in vielem das Gegenteil von Straftätern, die krankhaften Sadismus ausleben.
Der wichtigste, weil am leichtesten erkennbare Unterschied liegt einfach in dem, was die Sadisten erregend finden: Menschen mit harmloser sadistischer Neigung finden es nur dann erregend, einen anderen Menschen zu erniedrigen oder ihm Schmerzen zuzufügen, wenn dieser das auch sexuell erregend findet und genießen kann. Videos, auf denen ein Mensch gegen seinen Willenwirklich gefoltert wird, würden harmlose Sadisten nicht nur nicht erregen, sondern sogar anwidern.
Die Erniedrigung und Schmerzzufügung leben harmlose Sadisten deshalb nur mit Menschen aus, die dies wirklich wollen. Vorher sprechen die Beteiligten über ihre Wünsche und der Masochist gibt die Regeln an, indem er sagt, was der Sadist mit ihm tun darf und was nicht. Er kann auch jederzeit eine Handlung mit einem vorher abgesprochenen Zeichen beenden. Der harmlose Sadist lebt seine Neigung also im Rahmen der Spielregeln aus, die der Masochist vorher festlegt. Dadurch weiß er, dass der andere die gemeinsamen Handlungen wirklich freiwillig erlebt und angenehm findet, woraus auch der Sadist seine sexuelle Befriedigung zieht.
Harmlose Sadisten leben ihre sexuellen Wünsche mit Menschen aus,
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