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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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sogar erhöht, damit die Betreffende an die Öffentlichkeit geht und sich als Retterin präsentiert. Bisher haben sich um die fünfzig Frauen gemeldet.«
    »Anscheinend gibt es da draußen jede Menge ›eigenbrötlerische Bürgerwehrlerinnen‹.«
    »Sieht ganz so aus«, sagte er leise und dann, ohne den Blick auch nur ein einziges Mal von der Straße abzuwenden: »Aber ich weiß, dass du es warst.«
    Ich versuchte vergeblich, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Verns Blick huschte über mein Gesicht, und es entging ihm nicht. Das Radio lief weiter, und das Thema wurde nie wieder angesprochen.
    Wir erreichten jenen Punkt, an dem wir Calgary hinter uns ließen und die Ebenen erneut die Landschaft beherrschten.
    »Wohin fahren wir eigentlich genau?«, fragte ich.
    »Du wirst schon sehen.«
    In den nächsten anderthalb Stunden, in denen wir weiter nach Norden fuhren, hielt ich den Kopf gesenkt und vermied es, aus dem Fenster zu schauen. Denn während wir an Höhe gewannen, wich die Einöde rasch der eindrucksvoll gezackten Silhouette der Rockies. Ein-, zweimal sah ich ihre Erhabenheit aus dem Augenwinkel – und musste mich abwenden. Es fiel mir immer noch schwer, so viel Schönheit zu ertragen.
    Vern begriff, deshalb hielt er die Unterhaltung in Gang, erkundigte sich nach meiner bevorstehenden Rückkehr an die Universität und fragte mich nach jedem guten Konzert aus, das ich in Berlin gehört hatte.
    »Es gab keine schlechten Konzerte«, sagte ich. »Berlin ist Berlin.«
    »Da würde ich auch gern mal hinfahren.«
    »Das solltest du auch, Vern. Wenn du erst in der Philharmonie sitzt und diesem Orchester zuhörst, wirst du bestimmt glücklich sein.«
    »Glücklich«, sagte er, und ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, als wäre es ein ihm unbekanntes Fremdwort. »Eines Tages vielleicht.«
    »Ja ja, eines Tages vielleicht.«
    Wir fuhren an einem die Landschaft zersiedelnden Ort namens Canmore vorbei, der vor den Bergen ganz winzig wirkte. Wir erreichten den Banff-Nationalpark. Als die Straße weiter bergauf führte, knackte es in meinen Ohren. Wir ignorierten die Abzweigung nach Banff. Ich warf noch einen Blick aus dem Fenster und wandte mich gleich wieder ab. Die Straße verengte sich. Wir ließen die Ausfahrt zum Lake Louise und die Auffahrt zum Icefields Highway nach Jasper hinter uns. Stattdessen fuhren wir weiter nach Westen und überquerten bald die Grenze nach British Columbia. Dort kamen wir an einer alten Eisenbahnerstadt namens Field vorbei.
    Hier setzte Vern endlich den Blinker – an einer Abzweigung, die man leicht übersehen konnte. Plötzlich wurde die Straße so schmal wie ein Feldweg. Sie verlief parallel zu einem rauschenden Bach und führte dann durch einen langen Korridor aus Douglasfichten. Sie ragten weit über uns hinaus und verdunkelten den Himmel.
    »Jetzt ist es nicht mehr weit«, sagte er.
    Aber es sollte noch weitere zehn Minuten dauern, bis wir zum Stehen kamen. Als der Wagen die halb asphaltierte Straße entlangholperte und sich dieser Urwald um uns schloss, spürte ich Panik in mir aufsteigen: Ich kann nicht mehr, ich kann nicht weiterfahren.
    Aber wir fuhren weiter … bis die Straße plötzlich aufhörte. Vern stellte den Wagen ab und stieg aus. Als ich wie angewurzelt sitzen blieb, ging er um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür.
    »Komm«, sagte er.
    »Ich glaube, ich kann nicht …«
    »Hör auf zu denken«, schnitt er mir das Wort ab. »Steig einfach aus.«
    Angst. Sie ist unser ständiger Begleiter, raubt uns den Schlaf, hält uns gefangen und quält uns mit dem Wissen, dass es so vieles gibt, wovor wir uns fürchten.
    Aber der Angst nachgeben, bedeutet …
    … in diesem Wagen zu bleiben.
    Los, mach schon, reiß dich zusammen, hör auf mit dem Quatsch, überwinde dich – mir fielen noch viele solcher Binsenweisheiten ein. Sie alle meinten ein und dasselbe: Du musst aus diesem verdammten Wagen steigen.
    Also stieg ich aus.
    Vern nahm meinen Arm und führte mich ein paar Schritte nach rechts. Ich hielt den Kopf gesenkt, hatte die Augen halb geschlossen. Ich konzentrierte mich auf den Boden, auf den asphaltierten Parkplatz. Dieser wich einem von hohem Gras gesäumten Feldweg.
    Wir blieben stehen. Ich dachte: Wenn ich jetzt so tue, als ob, kann ich gleich wieder am Wagen sein, ohne wirklich etwas sehen zu müssen.
    Aber Vern, der anscheinend Gedanken lesen konnte, berührte erneut meinen Arm und sagte: »Schau hoch, Jane. Schau hoch.«
    Ich holte tief Luft. Ich spürte,

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