Aus Liebe zum Wahnsinn
Wasserspender.
Es war ein Becher wie eine Eistüte. Psychologisches Abfallmanagement, selbst in der Questura. Weil man Eistütenbecher nirgendwo abstellen kann, bleibt auch nirgendwo einer stehen. Jeder hält ihn in der Hand, bis er leer ist. Und dann? Der Mensch tut sich sehr viel leichter, einen Eistütenbecher in einen Abfalleimer zu werfen, als irgendwo schräg abzulegen. Ich drückte den Hebel, es gluckerte im Automaten.
Ja, sagte der Beamte, da hätte ich ja jetzt alle Dokumente zusammen, kein Problem, dann müsse ich jetzt nur noch zum Stempeln in den fünften Stock zu seinem Kollegen.
Ich verschluckte mich, hustete: »In den fünften Stock?«
BEAM - TIME !
Ich hätte jetzt einfach das Wasser austrinken, die Kinder packen und zwei Stockwerke höher traben können. Wahrscheinlich wäre ich in weniger als zehn Minuten raus gewesen. Gestempelt, gewonnen, gesiegt.
Hätte ich.
Aber nein, ich Idiot fasste Mut – um ganz genau zu sein: Es war Übermut – und fragte: »Ach, vielleicht können Sie mir ja auch bei einem anderen Problem weiterhelfen.«
»Sì.«
»Ich bräuchte da noch diese Nummer, diese Steuernummer, diesen
Codice Fiscale
.«
Binnen dieser sechs Silben verwandelte sich der Gute- launebär vor mir in einen Kampfhund, dem irgendjemand gerade auf den Schwanz getreten war. Und jetzt sah das fiese Vieh sich um, wer das getan hatte: maximale Körperspannung, leinenlos, bissbereit.
» CO - DI - CE FIS - CA - LE ?«, knurrte er, jeden einzelnen Laut in die Länge ziehend. Er zerrte an meinen Unterlagen, griff zum Telefonhörer.
Da müsse ich erst mal zu einem seiner Kollegen.
Erdgeschoss.
Und nun begann das große Zurückrudern.
»Neinneinnein, so wichtig ist das jetzt doch gar nicht«, hörte ich mich beschwichtigen. Die Bambini hundemüde. Die Treppen, die vielen Beamten, alle nett und hilfsbereit, sicher, und trotzdem: Das wäre alles etwas viel für die Bambini heute. Ich müsste schweren Herzens auf dieses Dings verzichten, zumindest heute. Das wäre eher so ein Scherz gewesen. Codice Fiscale, so nebenbei. Aber auf keinen Fall sollte er denken, dass da jemand den Codice Fiscale geringschätzen wollte, Gott bewahre, ich wäre nur wirklich sehr, sehr zufrieden, brächte ich heute – gewissermaßen als Tageswerk – die Anmeldung, die Aufenthaltsgenehmigung, einen Zettel mit einem Stempel, irgendwas mit nach Hause.
Er schnappte noch einmal nach Luft, verknitterte ein wenig meine Unterlagen: die Bambini? »Va bene«, fünfter Stock.
In einem gigantischen Prunksaal empfing uns ein Koloss von einem Polizeibeamten, von dem es sonst – egal, zu welcher Tageszeit ich angeklopft oder nach ihm gefragt hatte – immer nur geheißen hatte, er mache gerade Mittagspause. Das musste sie also sein, die geheime Stempelmacht, und gleich würde sie tun, was sie gelernt hatte: stempeln, stempeln, stempeln. Ich reichte Gianna eine Handvoll Gummibärchen, die letzten. Sieg.
Er blätterte, schaute auf. Dann fragte er: »Und die Fotos?«
Ich trat zwei Schritte nach vorne an den gewaltigen Schreibtisch, wies mit einer vorsichtigen Handbewegung auf die Passfotos.
Er schaute auf: »Und die Bambini?«
Ich zog die Augenbrauen nach oben: »Non capisco.«
Er deutete mit einer Dokumentenspitze erst auf Gianna, dann auf Elena.
»Das sind doch Ihre? Und die wohnen doch auch hier in bella Firenze?«
»Sì sì. So wie es in der Anmeldung aufgeführt ist. Gianna und Elena. Bella Firenze.«
»Da brauche ich Fotos.«
»Aber … Aber die sind doch noch so klein. Zwei Jahre die eine, fünf Wochen die andere. In zwei Monaten sehen die schon ganz anders aus.«
Er schnaubte, machte einen steifen Hals. Wer wann wie aussähe, und ob das wichtig sein könnte, entscheide immer noch die Questura. Er hielt mir die Dokumente hin. Ich sollte wiederkommen, mit Fotos. Nach der Mittagspause.
Ohne Gummibärchen, weich gekocht von Bürokratenterror und Mittagshitze, saß ich in einem Fotofix in bella Firenze. Gianna brauchte zwei Vier-Foto-Schüsse, bis auf einem Bild ihr Kopf vollständig und von vorne zu sehen war.
Das Foto mit Elena habe ich liebgewonnen. Man sieht ihren geblitzten Babykopf, rechts und links davon zwei total verkrampfte Hände, die ihn stützen. Rund herum Erinnerungen: Ich in der verdreckten Fotofix-Kabine, die elend langen Anweisungen verfluchend. Auf Knien, weil sonst immer meine Birne mit im Bild gewesen wäre. Auf Knien vor der italienischen Bürokratie.
Es begann als Urlaubsspiel, wir
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