Aus Liebe zum Wahnsinn
erleichtern will und ihm einen Fünftausender und einen Eintausender hinhielt. Die Fahrt kostete aber 1800 Lire.
Und auf der Supermarktkiste mit den zwei Kilo Pfirsichen steht »+/- 8 %«, eine Zeile drunter: » 180 grammi«. Alles gedruckt und offiziell. Ich befragte mein deutsches Rechthaberhirn, rechnete: Richtig sind doch 160 ! Bei den weißfleischigen Pfirsichen – auch die zwei Kilo, gleiches Problem – steht in der zweiten Zeile sogar » 190 grammi«. Ich rechnete mit, vor und nach, kontrollierte, kalkulierte. Mir geht es wie einer Frau mit Kinderwunsch, die auf der Straße plötzlich nur noch schwangere Frauen sieht: Italiener haben eine Rechenschwäche. Und das, obwohl sie von der Sprache gänzlich unbehindert immer von links nach rechts, sowohl lesen als auch rechnen, also ventitre, zwanzigdrei statt das komplizierte und unlogische deutsche dreiundzwanzig. Die Italiener zelebrieren diese Rechenschwäche. Was das alles zusammen mache? Sie recken das Kinn, drehen die Handflächen nach oben und konsultieren Cassa oder Calcolatrice.
Rechnen ist mehr ein Witz.
Wir saßen mit Zia Anna und Fabio, Zia Teresina und ihrem Roberto in einem Restaurant. Ob wir »Ippe-ippe« spielen wollten? Das wäre ganz einfach, man zähle immer im Kreis, und wenn eine Zahl durch fünf oder durch sechs teilbar ist, müsste man anstatt der Zahl, »ippe-ippe« sagen. Der Nächste machte mit der darauffolgenden Zahl weiter. Ich nickte und bestellte Wein.
»Tredici.«
»Quattordici.«
»Ippe-ippe«, sagte Viola. Ich war dran.
»Sedici.« Jetzt Fabio. Fabio?
»Ippe-ippe.« Alle lachten.
Nein, das wäre nicht richtig, meinte ich, 17 sei weder durch fünf, noch durch sechs teilbar. Fabio schenkte mir Wein ein, nickte.
»Jaja, Tedesco, hast ja recht. War wirklich 17 dran gewesen?« Fabio lachte. »Ippe-ippe.« Alle lachten wieder. » 17 – ippe-ippe!« Sehr witzig. Wir tranken, spielten, warteten aufs Essen,
»Ippe-ippe.«
»Quarantasei.« Jetzt kam 47 .
»Wer ist bitte dran?« Alle schauten mich erwartungsvoll an, mich, den Pünktlichen, den Nachrechner, den Tedesco, der auf Pfirsichkartons nach Fehlern suchte – und auch noch welche fand. Ich nahm einen Schluck, gab mir einen Ruck, 47 ? Primzahl? Es ging schließlich darum, Italiener zu werden.
»Ippe-ippe« und alle lachten. Geschafft. Roberto lud uns für nächstes Wochenende zu sich ein.
Zio Roberto ist der angeheiratete Onkel meiner Frau. Sein Haus, eine kleine Villa außerhalb von Florenz, steht auf einem der Hügel, die die Stadt einschließen, wo Blick und Luft besser sind. Zio Roberto hat sein Leben lang geschuftet, eine Fotovoltaikfabrik aufgebaut, sie dann sehr gut verkauft. Und seitdem ist er ratlos, was er mit dem vielen Geld und der vielen Zeit anfangen soll. Er hat sich verschiedene Häuser für die verschiedenen Jahreszeiten angeschafft, eins am Meer, wenn es heiß ist, eins in den Bergen, wenn es zu heiß ist, und eins in Florenz als Zwischenstopp. Er stöhnt gern über das Wetter und darüber, dass er in den falschen Häusern sitzt. Wenn er in Florenz ist, wäre er gern am Meer. Wenn er am Meer ist, gern in den Bergen. Und in den Bergen überkommt ihn die Sehnsucht nach der großen Stadt. Und auf einmal ist es dann plötzlich zu heiß, zu kalt, zu feucht, um zu reisen, und Zio Roberto sitzt fest. Im falschen Haus.
Er hat auch verschiedene Autos. Einen roten Zweisitzflitzer für seine Frau, einen kleinen SUV für Alltagsfahrten und einen Ferrari für die Garage, der wie der Heilige Gral unter Verschluss gehalten wird. Er erzählt und schwärmt, vom Lack, von Fahrtwind, von der Form. Er imitiert Motorengeräusche, demonstriert auf einem Plastikgartenstuhl die Sitzhaltung, lobt den Komfort.
Bei einem Besuch in der Florenzvilla raunte Roberto meiner Tochter zu, heute wäre es soweit. Sie wäre jetzt drei Jahre alt, das wäre schon ganz schön groß, heute wäre der Tag, an dem sie IHN zu Gesicht bekäme: den Wagen. Den Ferrari. Testarossa.
Roberto senkte die Stimme, zelebrierte die Stimmung. Im Film wäre vielleicht Rauch aufgestiegen. Ministranten hätten im Hintergrund Weihrauchkessel geschwenkt. Zeremonienmeister Roberto streckte seine Hand vor, begann mit der Armbanduhr: Davon gebe es nur sehr, sehr wenige. Das sei das Ferraripferd da auf dem Ziffernblatt, il cavallino rampante. Das sei ein Original.
»Man sagt«, behauptete Roberto, »es sind weniger Uhren auf dem Markt als Fahrzeuge.« Wir alle kennen die Geschichte, die Uhr erklärt
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