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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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richtige Anzahl für ein Paar Putzhandschuhe exakt zwei beträgt. Natürlich werden überall auf der ganzen Welt Grundfesten in Frage gestellt. Das Besondere am italienischen Nährboden: Hier werden sie nicht nur in Frage gestellt, hier wird auch gleich noch geantwortet. »Rechts.« Egal, wie.
     
    Es ist die Zeit der Währungsumstellung, von Lira auf Euro, eine Zeit, in der die Etiketten an den Regalen größer und länger werden, in der um maximale Transparenz gebuhlt wird. Italiener, sagen diese Schilder, die in manchen Läden bis heute, ein Jahrzehnt nach der Einführung des Euro, den Preis immer noch zusätzlich in Lire ausweisen – Italiener, sagen diese Schilder, hängen an ihrer Lira.
    Früher im Familienurlaub, als mein Vater die Lire noch vom Postsparbuch abhob, standen wir am Ende eines Italienurlaubs immer vor dem Geldproblem. Was tun mit den übrigen Lire? In Telefongettoni umtauschen? Damit könnte man ja auch im nächsten Urlaub noch telefonieren. Alles in Zehn-Lire-Stücke wechseln, die man dann in deutschen Kaugummiautomaten als Eine-Mark-Stücke versenken kann?
    So tragisch die Lira auch stand, sie verkörperte doch ein gutes Stück der italienischen Seele. Mit der Lira war jeder Millionär, Hartgeld war fast nichts wert (zwei Euro sind nahezu das Zehnfache von 500 Lire, der größten Münze damals) und der Fünfhunderttausender-Schein, der tatsächlich existierte – ich habe ihn selbst gesehen und sogar einmal besessen – , war wie ein Schwarzer Peter, für den man ganz schön viel Geld gezahlt hatte und den dann keiner annehmen wollte, den jeder nur gegens Licht gedreht hatte. Fünfhunderttausend? Zu gefährlich.
    Mit der Lira hatten die Italiener ein herzlicheres, unverbisseneres, kameradschaftlicheres Verhältnis zum Geld. Mit dem Euro ist das anders. Sie haben sogar aufgehört, auf die Geldscheine zu kritzeln. Das ist jammerschade. Ich mochte das sehr gern. Oft waren es Rechnungen, manchmal nur eine Zahl oder ein Name. Unscheinbar, okay. Aber die Scheine hatten damit plötzlich eine Geschichte bekommen, auch wenn man sie nicht unbedingt verstanden hat. » 250  x  7 «, dann ein Strich, dann » 1700 «. Was da gerechnet wurde? Keine Ahnung. Auf jeden Fall falsch. Die Geschichte konnte man sich selbst zusammenreimen. Wie viele Nullen hinter der Rechnung wohl noch angehängt waren? Ging es um Schutzgeld, um Bauland, um Waffen, um Tomaten?
    Dann gab es die Telefonnummern. Ich war oft in Versuchung, die Nummer von Francesca, Giulia oder Marianna zu wählen. Ich habe mich nie getraut. Aber schon die Möglichkeit fand ich super.
    Mit einem Mal war die Spur einer Geschichte, eines fremden Lebens in meiner Geldbörse. Das waren keine Facebook-Statusmeldungen, die in ein paar Worten den persönlichen Gefühls- und Erlebniszustand der Allgemeinheit zugänglich machen sollen. Es ging nicht um den Folgebesitzer des Scheins, es ging nicht um eine Mitteilung, sondern tatsächlich nur um einen Notizzettel. Wenn überhaupt eine Mitteilung, dann war es diese: Wir Italiener gehen extrem lässig mit unserem Geld um.
     
    Das Zweite, was die Schilder im Supermarkt sagen: Italiener können nicht rechnen. Alle Produkte sind in verschiedensten Mengen in Lire und Euro ausgewiesen, oft auch in Zehnerpotenz-Schritten. Also, was kosten 10  Gramm, 100  Gramm, 1000  Gramm? Und das bei einem denkbar simplen Wechselkurs. Man könnte sogar meinen, die Umstellung habe das Potential, das Leben mit dem Geld insgesamt zu vereinfachen; wurde man doch mit einem Mal die ganzen vielen verwirrenden Nullen los. 2000 Lire sollten ein Euro werden.
    Ganz einfach.
    Gar nicht einfach, befanden viele Italiener und rechneten.
    Und ich muss sagen: Sie tun sich nicht nur mit dem Rechnen schwer, die Italiener, sie können auch den kleinen Bruder des Rechnens nicht leiden: das Schätzen. Etwa die Frau auf dem Markt, die für ein Bund Bio-Wildkräuter zwei Euro wollte.
    »Und wenn ich gleich drei Bund nehme? Machen Sie mir einen Spezialpreis?«
    »Offerta speciale. Sì sì.« Sie starrte knapp über meinen Kopf, dort, wo eine Art virtueller Taschenrechner sein muss. Einen Blick, den ich mittlerweile schon kenne, seltsam leer, fast schielend, nach innen gekehrt, meist bewegen die Rechnenden dabei stumm die Lippen, ich lese einzelne Zahlen heraus.
    »Gib mir sieben Euro«, sagte sie und strich Elena über den Kopf, knipste ein Lächeln an. »Che bella.«
    Moment. Drei mal zwei?
    Oder der junge Mann, der dem Busfahrer das Wechseln

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