Aus Liebe zum Wahnsinn
wiedertreffen würden.
Ich brülle so ein bisschen vor mich hin, wegen meines Bärentatzenfußes. Die Kinder quengeln, Gianna will zum Flying Fox, der Seilbahn, die über Holzhackschnitzel über unseren Spielplatz saust, bei der ich immer gern das Gerangel beobachte, sobald mehr als zwei Kinder da sind. Wer ist wann wie lang dran? Und vor allem: Was gilt als abgeschlossener Seilbahnflugvorgang? Darf der Rückschwung noch bis zum Ende mitgenommen werden? Wer bringt den Arschteller wieder auf Ausgangsposition? Alles Fragen, die jedes Mal neu verhandelt werden müssen und an deren Methoden, diese zu klären, sich die Gesellschaft bitte kein Beispiel nehmen sollte.
Ich fluche. Mein Fuß schmerzt. Ich schaue mich um. Aber es springt niemand aus dem Busch, um mich auszulachen. Da liegt nur die Dose, die es sicher tun würde, wenn sie es könnte. Rache? Sich an der eigenen Blödheit zu rächen ist schwierig. Konsterniert lasse ich die zerbeulte, aber ansonsten unverletzte Dose ins Einkaufsnetz des Buggys gleiten, trotte humpelnd, diesmal beidhändig schiebend, Richtung Spielplatz. Flying Fox also.
Ich stand im Flur 119 , »labour ward«, die Geburtsabteilung von »The Royal Infirmiry of Edinburgh«. Ich war allein da. Das Krankenhaus von Edinburgh war brandneu, zwölf Kreißsäle, bei gerade mal 400 000 Einwohnern, der Parkplatz wird stundenweise abgerechnet.
»Ich weiß noch nicht, wann ich wiederkomme«, hatte ich gesagt und Viola einen Kuss auf den Mund gedrückt. Es war das erste Mal, dass ich ohne meine Frau in einer Geburtsabteilung war. Ich trug einen hellblauen Krankenhauskittel. Auf die linke Brusttasche, dort wo normalerweise das Namensschildchen hängt, hatte head nurse Angela einen Streifen Tesakrepp mit der Aufschrift »George – Observer« geklebt.
Ich war hier, weil ich eine Geburt miterleben wollte. Und zwar mit innerem Abstand, nüchtern, objektiv – also mal keine eigene. Denn ich wollte eine Bewerbungsreportage für die Journalistenschule schreiben, Thema: »Frauenklinik: Geburtsstation«.
Zwischen Bibliothek, Schreibtisch und Kopfweh hatte ich mal wieder nachgedacht: Auch wenn du immer wieder haderst, auch wenn dieser Abschlussarbeitsberg vor dir liegt, der Tag wird kommen, an dem du dieses Philosophiestudium abschließen wirst, und dann wirst du dich fragen: Was zur Hölle jetzt? Also los, dachte ich mir, ein bisschen Plan. Warum nicht Journalistenschule? Optionen optimieren und den Arbeitsmarkt noch warten lassen.
Und jetzt stand ich da, George, der Observer, lungerte am Schwesterntresen der Kreißsaalstation herum, Ward 119 . Und immer wenn die automatischen Türen aufschwangen, war ich voller Hoffnung.
Ich gebe zu, es gibt bessere Orte, eine Frau anzusprechen, als auf diesem Flur, von dem rechts und links Kreißsäle abgingen. Und wahrscheinlich ist jede andere Frage, die man einer Hochschwangeren stellt, die im Seemannsgang diesen Flur entlangwankt, sich alle paar Meter zum Springbock krümmt und laut gegen die Wehen anschnauft, weniger unverschämt als: »Entschuldigen Sie, hätten Sie was dagegen, wenn ich mich bei Ihrer Geburt ein bisschen dazusetze, ein wenig zusehe, einfach dabei bin?«
Ja, wahrscheinlich schon.
Und so sah ich zahlreiche vielversprechende Reportagecharaktere die Türen hinter sich schließen, George, der Observer musste leider draußen bleiben. Irgendwann hatten sogar die Krankenschwestern Schichtwechsel. George, der Observer, blieb. Er war am Boden, bereits derart verzweifelt, dass ihm sogar die Kraft zum Aufgeben fehlte. Ja, auch das braucht Kraft, denn schließlich ist auch das eine Planänderung, selbst wenn der neue Plan erst mal darin bestünde, keinen zu haben.
Ich mag Unvorhergesehenes. Natürlich ist eine böse Überraschung böse. Aber sie wird für mich nicht weniger böse, wenn ich bereits zuvor darum weiß. Im Gegenteil: So versaut sie mir auch noch die Zeit davor. Und bei einer guten Sache verpufft viel von der Energie, wenn ich mich peu à peu daran gewöhne. Überraschungen müssen aus den hinteren Reihen des Lebens kommen. Dort, wo die Paukisten und Schlagzeuger sitzen, ein Wirbel ohne Vorwarnung, ein Tusch ans Becken, kräftig, plötzlich, von hinten.
Oder man stellt sich selbst für einen Moment an die Pauken. Das können ganz kleine Dinge sein: Ein ungewohntes Wort, das überrascht und das das Gegenüber aufhorchen lässt. Morgens zur Arbeit einen neuen Weg nehmen. Menschen auf der Straße, die halbwegs sympathisch aussehen,
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