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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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Manchmal stießen sie einen Betrunkenen vor sich her. Alles gemütlich und live von unserem Fenster aus zu beobachten.
    Oder ich staunte über entschlossen aufgebrachte Menschen, die das Gebäude stürmen; im Gepäck Räuberpistolengeschichten. Katze weg? Auto abgeschleppt? Frau verprügelt? Freund tot?
    Wer ist das, der da gerade reingeht? Was hat er vor? Was von alledem könnte seine Geschichte sein? Will er sich selbst anzeigen?
    Es war nicht immer großes Kino, das mir von Bobbys und Co. präsentiert wurde, okay. »Gut gemachte Unterhaltung«, würden Feuilletonkritiker vielleicht schreiben, immerhin. Sitcom vorm Fenstersims.
    Bobbys heißen nur die Fußpolizisten, die, die in England diesen zopfigen Helm auf dem Kopf haben. Und ja, deswegen hat wahrscheinlich niemand weniger mit dem Produkt »Bobbycar« zu tun als eben diese Fußpolizisten: Sie haben eben kein »car«, und wenn sie doch eins haben, heißen sie nicht mehr »Bobby«, sondern sind dann gleich »Police officer« oder so was. Bei »Bobby« denkt in Edinburgh ohnehin zuerst mal niemand an Polizisten. Denn in Edinburgh gibt es »Greyfriars Bobby«, kurz Bobby, einen Terrier, seit fast 150  Jahren tot und so berühmt wie Lassie und Dumbo und Flipper zusammen. Zumindest in Edinburgh. Bobby ist Stadtkult, Role Model für Treue und Haltung. Aber auch Treue ist kompliziert.
    Als ich mit meinen Kindern die Bobbytour machte, auf Hundespuren durch die Stadt zog, waren sie begeistert.
    »Dieser Bobby«, erzählte ich, »der hat fast sein ganzes Leben, 14  Jahre lang, auf dem Grab seines Herrchens verbracht.« Große Kinderaugen. »Und Bobby war – und das ist die eigentliche Leistung – dabei selbst quicklebendig, was täglich überprüft werden konnte, da er nach dem Ein-Uhr-Kanonen-Geballer immer in die nächste Kneipe trabte, um dort etwas zu essen. ›Let his loyalty and devotion be a lesson to us all‹, steht auf seinem Grabstein, Bobbys Treue und Hingabe sollen uns allen eine Lehre sein. Und da, schaut, liebe Kinder, haben Bobby-Groupies ausgewählte Stöckchen für ihn bereitgelegt. Falls er vielleicht doch noch lebt, dieser Teufelskerl, dann soll er es nicht weit haben, zum Apportieren: Stöckchen statt Blumen.«
    Zwischen Friedhof und Kneipe steht ein Ehrendenkmal mit zwei Brunnen – einem auf Menschen- und einem auf Hundehöhe. Oben auf dem Denkmal: Bobby himself in Bronze.
    Warum da kein Wasser drin sei, wollte Gianna wissen.
    »Ja, es ist eben alles nicht mehr so toll wie früher, nicht mehr ganz original«, larmoyierte ich rum. Die Brunnen mussten aus Hygienegründen versiegelt werden. Und ja, ein geschäftstüchtiger Kneipier hat die Statue in einer Nacht- und Nebelaktion sogar einfach verstellt und um 180  Grad gedreht. (Schön und gut, wenn das Vieh auf meine Kneipe blickt, schöner und besser, wenn meine Kneipe auf jedem dieser abertausenden Fotos, die jedes Jahr von Bobby gemacht werden, im Hintergrund zu sehen ist.) »Aber es zählt die Geste«, dozierte ich vor den Kindern. Und Authentizität, die geht mir ohnehin gehörig auf die Nerven. Sie ist zur heiligen Kuh mutiert: Alles darf man, wenn es nur authentisch ist. Es soll ursprünglich sein, schlicht, einfach, echt und ehrlich. Wir wollen es authentisch. Ganz falsch.
    Schlechte Charakterzüge, die besonders störrisch und klotzköpfig vertreten werden, veredelt man blaublütig mit diesem kleinen Attribut. Dann heißt es: »Klar ist der etwas schwierig, und ja, manchmal sogar mies, aber er ist halt unglaublich authentisch.« Dann wird genickt und geneidet. Ich sage: »Ein Arschloch ist ein Arschloch.« Egal, ob authentisch oder aus der Retorte.
    Und Bobby? Bobby ist Kult, Treue, Loyalität, Hingabe. Er hat es sich nicht leicht gemacht. Und er ist dabei menschlicher geblieben als so mancher Mensch.
     
    »Aber stimmt das wirklich?«, fragte Gianna.
    Verdammt, schon wieder dieses
wirklich
.
    »Ja«, grummelte ich und fragte mich, wie mein eigenes Grab wohl mal aussehen würde. Ich habe keinen Hund. Ich will auch keinen, nicht mal, wenn ich tot bin. Aber wer soll denn dann noch treu sein? Kinder?
    Früher dachte ich immer, ich würde später mal testamentarisch eine Sitzbank als Grabstein verfügen. Das wäre praktisch, dachte ich, für die Lieben, die zu mir kommen wollen. Eine Bank hat ungefähr das Format eines liegenden Mannes, das heißt, man müsste gar nicht viel anpflanzen, um das sich ja auch nur wieder irgendjemand kümmern müsste, und ich bekäme obendrein auch noch ein

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