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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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alles unterstützen. Der gute Zweck prangt über dem Schaufenster. Unser Laden verkaufte für Lebertransplantationen. Eine Win-Win-Win-Situation. Geldbeutel, Umwelt, Leber. Alles Winner.
    In einem italienischen Magazin habe ich mal eine behördliche Werbung gegen den Kauf gebrauchter Waren gesehen. Es mache das Leben unnötig kompliziert, unsicher, unangenehm. Das sitzt. Überall tun sie so, als ob sie an Müllvermeidung interessiert wären. Da braucht es schon aufrichtige Ignoranz, um zu sagen: »Wir sind gegen gebrauchte Waren.« Kann schon sein, dass es für die Umwelt ganz nett wäre, wenn der Kinderwagen/das Stockbett/der Schulranzen von mehr als nur einem Kind benutzt würde, für unsere Wirtschaft aber ist das kacke. Lieber neue Dinge verkaufen. Man kann sagen, was man will, das ist wenigstens ehrlich. Kein Umetikettieren, keine »Umweltprämie« für den massenhaften Abverkauf von Neuwagen, nichts. Hier werden ehrlich und geradeheraus Energie und Rohstoffe verbraten – für die Wirtschaft. Wenn die erst mal wieder brummt, dann könne man ja immer noch … Italien ist auch das einzige westliche Land, das ich kenne, in dem Ebay überhaupt nicht funktioniert.
    Ich liebe gebrauchte Gegenstände. Und das hat einen ganz einfachen Grund: Sie bringen viel mehr ein als nur sich selbst. Man bekommt mehr, als man bestellt. Klar ist es auch toll, weniger Geld auszugeben und das eigene Ökogewissen ein bisschen zu kraulen.
    Ja.
    Beifang, sage ich.
    Ich habe ein Problem mit fabrikneuen Dingen. Sie gehören nicht unbedingt zu mir, nur weil ich im Austausch irgendjemand anderem Geld gegeben habe. Fabrikneue Dinge müssen erst mal ankommen, heimisch werden, den Geruch von Herstellung, Gabelstaplern, Gebindepackungen abstreifen. Sie müssen erst mal Geschichten aufsammeln. Vorher sind sie fremd und machen mich ganz schnell zum Schaufensterpüppchen in der eigenen Wohnung.
    Beim Film haben die natürlich Profis, die den Dingen Leben und Geschichten einzeichnen. Da geht einer durch den fertigen Set, um den Lichtschalter herum trägt er ein bisschen Grau auf von all den Fingern, die scheinbar danebengegriffen haben, er zaubert Staub hin, wo einfach niemand putzen würde, er weiß genau, wo welcher Türgriff an die Wand schlägt. Er malt das Leben ein, Spuren von Gelebtem, gibt den Dingen Patina. Ohne ihn wirkt jeder Film mies, ohne ihn würde jeder Schauspieler in einer Musterwohnung rumsitzen. Unbelebt, ungelebt.
    Ich kann mir so einen Patineur des Lebens nicht leisten. Also suche ich mir Dinge mit Geschichte. Die Nachttischlampe, die ich nach einem Termin in Frankfurt aus einem Entrümpelungscontainer gezogen hatte: Kurz darauf sprach mich im Bahnhofscafé der Tischnachbar an. Wir redeten, lange, so lange, dass ich meinen Zug verpasste. Die Lampe auf dem Stuhl neben mir, gegenüber den Typen. Am nächsten Tag, so erzählte er, habe er einen Termin für seine Sterilisation. Und auch wenn er sich sicher wäre, dass er keine Kinder mehr haben wollte, hatte er doch Sorge, dass Sex danach an Magie verlieren könnte, zu etwas Mechanischem werden würde.
    Irgendwann nahm ich den Zug. Ich weiß bis heute nicht, wie die Sache ausgegangen ist. Die Lampe ist für mich immer mit einem Frankfurter Container, diesem Menschen und seinen Sex-Zweifeln verbunden.
    Und so erzählen in unserer Wohnung viele Gebrauchsgegenstände Geschichten aus unserem Leben. Die Top-Man-T-Shirts von ein paar euphorischen Tagen zu zweit in Istanbul. Unser Drei-Meter-sechzig-Nils-Holger-Moormann-Designer-Regal von Violas erstem Job bei einem bald insolventen Buchhändler, der nicht mehr anders zahlen konnte. Der Milk-Cup-Maker, eine Kreisschneidemaschine aus dem Charity Shop, mit dem wir 180 -mal Camillas Babykopf aus Fotos ausgeschnitten haben, erzählt von unserem Bastelwahn und von Camillas Geburtsanzeige, für die ich auch noch beim lokalen Kiltschneider einen Sack Karo-Stoffreste geholt hatte, die wir dann zu 180 kleinen Schottenröcken zusammenbügelten. Die hellblaue Krankenhauskluft, die ich am Ende meines Reportagetages einfach geklaut habe – als Andenken – und die ich heute noch statt eines Schlafanzugs anziehe, von George, dem Observer, und 20  Stunden Geburtsrecherche.
    Interieur wird zum Tagebuch. Dafür haben wir uns die Glasvitrine gespart und damit auch den Ärger, wenn das erste Kind bis zum Lenkrad mit dem Bobbycar drinsteckt. Insgesamt ein gutes Geschäft.
    Das Geschäft mit
Dingen mit Geschichten
ist natürlich längst entdeckt. Profi

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