Aus Liebe zum Wahnsinn
wenig Laufkundschaft. Müde Friedhofsflaneure, die das ewige vor dem Grab Stehen satt haben: Alle dürfen liegen, nur sie, sie müssen stehen und trauern. Aber dort, da ist ja eine Bank, da könne man sich wunderbar hinsetzen …
Aber wie so häufig im Leben hat mal wieder der Kneipier recht: Ich stelle mir vor, ein lieber Mensch kommt, denkt an mich oder ist müde, besucht mein Grab, setzt sich. Und?
Das Problem ist: Wo sieht er hin? Eben genau
nicht
auf mein Grab. (Bänke, auf denen man direkt nach unten sehen würde, sind ungemütlich. Und daran können auch Materialien aus der Raumfahrtforschung nichts ändern.) Und so würde mein Bank-Grabstein klammheimlich zum Nachbargrabsdenkmal. Wo jemand liegt, den ich überhaupt nicht kenne. Sollen die Kinder doch machen, was sie wollen.
» 14 Jahre lang,« brummte ich vor mich hin, »doppelt so lang, wie ihr alle zusammen hier auf der Welt seid, saß dieser Bobby immer auf dem Grab seines Herrchens.«
»Ganz ehrlich?« Gianna kniff die Augen zusammen.
»So sagt man, ja.« Ich blickte noch mal zur Statue hinauf, nickte in Richtung des Hundes: Der Gute.
Dann fragte Gianna: »Und wo hat der Kacka gemacht?«
Es war Anfang 2003 , die Zeit, in der der Irakkrieg in den kriegsführenden Heimatländern vorbereitet wurde. Eine Zeit, in der versucht wurde, die Grautöne aus dem Leben zu nehmen: Schwarz und Weiß gebe es da. Gut und Böse. Das reicht doch, oder? Man müsse sich nur entscheiden. Die Buchstabenkette » WMD « war in den Schlagzeilen, jeden zweiten Tag: »Weapons of Mass Destruction«. Der Kriegsgrund, Seite 1 , in Buchstaben, so groß wie meine Kaffeetasse. Dann Bushs Ultimatum und Schröder und Chirac, die ein wenig den Aufstand probten, »die Welt steht am Vorabend eines Krieges«. Ob dieser von der Bedrohung gedeckt wäre? »Meine Antwort in diesem Fall«, sagte Schröder, »war und ist: Nein!« Zwei Tage später, einen Tag vor Frühlingsbeginn, ging es los mit dem Krieg.
Es war eine Zeit, als in Deutschland noch jede Bundeswehrbewegung diskutiert wurde und das Wort »Auslandseinsatz« noch wie »Angriffskrieg« ausgesprochen wurde. Ich, Kriegsdienstverweigerer, mit der zugegeben bequemen wie naiven Überzeugung, damit etwas für den Frieden in der Welt getan zu haben, mit einem Vater aus einem weißen Geburtsjahrgang (zu jung für die Wehrmacht, zu alt für die Bundeswehr), mit einem Cousin, der von seinem Opa mit aller großelterlichen Gewalt zusammengefaltet worden war, nur weil er sich zur Bundeswehr gemeldet hatte, um dort den Lastwagenführerschein zu machen. Ich, dieser kleine, friedensbewegte Mann, lebte das erste Mal in einem Land, das im Krieg war, das Krieg führte. Wie fühlt sich das an? Was verändert sich? Wenn in der Zeitung Gefallene aufgeführt werden und in der Innenstadt in Viermeterlettern » SUPPORT OUR TROOPS « steht?
Eigentlich, und das ist genauso schrecklich wie wenig überraschend, gar nicht so viel. Nach ein, zwei Schockwochen und ein bisschen Pflichtgedanken war Mike aus dem Kindergarten, der, der Gianna immer ärgert, schon wichtiger. Genauso wie die verflixte Gliederung für die Magisterarbeit. Und was war mit dem Laptopmonitor? Der hatte manchmal so komische Aussetzer. Ein paar Wochen später begann mein Laptop zu rauchen, ein paar Minuten nur. Ich musste ein paar Seiten Magisterarbeit neu schreiben und mir einen alten Röhrenschirm vom Nachbarn leihen. Der Typ aus dem Ein-Mann-Elektronik-Shop, der mir mein Netzteil lötete, kam ausgerechnet aus dem Irak. Es war in derselben Woche, in der die Saddamstatue in Bagdad umgerissen wurde.
Ob wir die Bibel kennen, fragte die Verkäuferin in dem Charity Shop mitten in Edinburgh. Wir nickten zaghaft. So einigermaßen. »Eben«, sagte die Verkäuferin, legte ihren Kopf schief und warf beide Hände in Richtung eines braungrauen Bastkörbchens: Als sie in unseren Gesichtern keinen Aha-witzig-kauf-ich-einen-Moment-noch-ich-krame-nach-Kleingeld-Ausdruck entdeckte, erklärte sie: »Das ist ein ›Moses Basket‹.« Sie blinzelte ein paar Mal. »
Moses
Basket. Moses.« Sie deutete auf Violas Bauch. »Darin wird es das Kind schön warm und geborgen haben.« Wir starrten auf Flechtkorb, Verkäuferin, ich nestelte verlegen an Giannas Kapuze herum.
»Danke. Ja, wir schauen uns das mal an.«
Charity Shops sind Gebrauchtwarenläden, billig wie Flohmärkte, bloß sortierter und dann auch noch für einen guten Zweck. Von verwahrlosten Hunden bis finanzschwache Herzkranke kann man
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