Aus Liebe zum Wahnsinn
U-Bahn nach Hause gefahren, statt dass man eine der Mütter auf dem Spielplatz mit den Bootskielgiftlackwindeln um ihr Teufelsgut bitten würde. Endlich weiß man wieder, was wirklich richtig ist.
Das gesamte Kinderwohl macht ein Elternist vom korrekten Verhalten in seinem Fachgebiet abhängig. Freunde und Verwandte werden fanatisch missioniert. Pastinaken und Seidenbodys, Motorikspiralen und Silbernitratlösung. Man kann so vieles richtig machen. Und bloß keine Zinkcreme auf den wunden Popo schmieren!
Ich war selbst Elternist. Je verzweifelter die Ausgangslage (siehe 1 .), desto spitzer sind die Spezialgebiete zugeschnitten ( 2 .), desto fanatischer ist die Überhöhung ( 3 .). Meine Fachgebiete: Impfen (ein Thema, das Elternisten in Windeseile auf Hochtouren bringt. In eine Diskussion darum sollten Sie, egal welcher Partei Sie angehören, doppelt so laut einsteigen, wie Sie es für angemessen halten. Worte wie »Pharmamafia«, »Ödem«, »Lebendimpfstoff« eignen sich hervorragend zum Brüllen. Zurückbrüllen kann man etwa mit »Panikmache«, »fahrlässig«, »Mittelalter«. Ich habe mich zu folgendem Mittelweg entschieden. Impfen ja, aber auf keinen, also wirklich auf gar keinen Fall im ersten Lebensjahr); Haarewaschen (muss man eigentlich erst mit der Einschulung, davor genügt ausbürsten. Das ist auch viel besser für den PH -Wert der Kopfhaut. Wirklich!) und – der ganze Popanz um die Windeln.
Wir begannen unsere Windelkarriere mit Moltontüchern, selbstgewickelt, gewaschen, getrocknet; sattelten dann nach ein paar Wochen auf Druckknopfbaumwollwindeln um. Da hatte sich wenigstens die Binderei erledigt. Trotzdem: Aufatmen konnten wir noch lange nicht. Denn Mehrwegwindeln, das bedeutet: Landluft für die Stadt. Und zwar drinnen, in der Wohnung, und zwar die üble Seite der Landluft. Windelwaschgänge schaffen eine ungeahnte Distanz zur Normalität. Gewachsene Grenzen, wie die etwa zwischen Wohnraum und Kanalisation, verwischen auf einmal, man selbst verliert seine Rolle, wird zum Viehbauern mitten in der Stadt. Niemand erwartet, dass Windelwaschgänge ein Quell von Lebensfreude und Zuversicht sein würden. Gut. Aber die Wahrheit ist: Sie sind ein ausgeklügelter Doppelanschlag auf die Seele.
In Phase eins wird das Feld bestellt: Ich schleife den Eimer – 15 Liter Wasser, drei Esslöffel Soda, ein gutes Dutzend Stoffwindeln – ins Bad. Jede kleine Erhebung, die den Sud im Eimer schaukeln, gegen die Eimerwand klatschen lässt, kann schon zu viel sein. Das Zusammenspiel von Konzentration, Kraft und drohendem Ekel, dem Vorekel, labilisiert mich. Ich öffne den Deckel. Hier, zwischen Klo und Waschmaschine, gönne ich mir einen Moment der Ruhe, sammle Kräfte, wappne mich.
Dann kommt es zum Feindkontakt. Ich hebe den Eimer an und schütte die Jauche ins Klo – dabei muss ich einen Fangarm mit gespreizten Fingern wie eine Reuse vor das herausströmende Wasser halten, damit keine Windeln in die Toilette flutschen. Bis hierhin ist es einfach nur die erwartbar ekelhafte Aufgabe eines Jauchemeisters. In Phase zwei kommt aber die Unpraktikabilität des Lebens hinzu, die die dann bereits angegriffene, labile Seele vollends perforiert.
Es gibt Dinge im Alltagsleben, die haben etwas begeisternd Praktisches an sich. Zum Beispiel Bettwäsche. Zieht man das Laken von der Decke, ist es bereits umgekrempelt, so dass es nach dem Waschen gleich wieder bezugsfertig auf links liegt. Ich schlüpfe in die Lakenecken, greife munter pfeifend die Deckenecken, schüttle und staune, wie praktisch das Leben sein kann.
Aber da gibt es eben auch die anderen Dinge. Die unpraktischen, die Drama und Debakel triggern, einen im Handumdrehen die ganze Mühsal des Lebens spüren lassen. Etwa die Brotseide, die die Bäckerin doch gerade noch perfekt um den ganzen Laib geschmiegt hat und bei uns nach dem Abendessen vorne und hinten nicht mehr reicht. Und das, obwohl gerade mal noch ein halber Laib übrig ist. Oder die Tatsache, dass der Mensch oft genau dann Geld hat, wenn er alt ist und dann plötzlich viel mehr davon hat, als er überhaupt braucht, und kein Geld, wenn er jung ist und es so bitter nötig zu haben scheint. Oder eben die Sache mit dem Windeleimer und der Waschmaschinenöffnung.
Ein Windeleimer ist rund, eine Waschmaschine eckig. Immer wenn ich den Windeleimer vor die Maschine wuchtete, berührten sich die beiden in genau einem Punkt. Ein Problem. Denn ein Punkt ist als Jauchebrücke für eine Unzahl
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