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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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Eine unübersichtliche Anzahl gefüllter Biergläser wird auf einer Tischtennisplatte verteilt. Dann spielt man ganz normal Tischtennis: Trifft einer mit dem Ball in eines der Gläser, muss der andere es leeren. Je öfter man trifft, desto härter hat es der Mitspieler, sich überhaupt noch zu rächen. Super Spiel, dachte ich, erzählte es viele Jahre lang weiter als muntere Jugendanekdote. Die Leute nickten: Ja, echt super.
    »Klingt toll«, sagte auch Matze und baute eine Unzahl Schnapsgläser vor uns auf. Ich solle das mal ausprobieren, sagte er und füllte die Gläser. Er habe da etwas falsch verstanden, wandte ich ein: »B-e-e-r P-o-n-g«, buchstabierte ich. »Beer« und »Pong«, also »Bier« und »Tischtennis«, nix »Schnaps« und »Gläser«. Hallo? Er sagte nur »Jaja«, holte eine Musikkassette, spulte. Das sei Herbert Grönemeyer, sagte er, und das Spiel ganz einfach. Man müsse nichts weiter tun als zuhören und ab und zu mal ein Glas trinken. Genauer gesagt: Immer dann, wenn Grönemeyer das Wörtchen »Alkohol« singt. »Fertig?« Ich nickte. Ich kannte das Lied nicht gut, fragte mich noch, warum zur Hölle da so viele Gläser standen und fiel nach dem ersten Refrain vom Stuhl.
    »
Alkohol
ist dein Sanitäter in der Not
    Alkohol
ist dein Fallschirm und dein Rettungsboot
    Alkohol
ist das Drahtseil, auf dem du stehst
    Alkohol, Alkohol, Alkohol

    Jahre später las ich »Wonder Boys« von Michael Chabon und war empört. Beer Pong war eins zu eins aus dem Roman geklaut. Und der ist von 1995 ! Da trank ich doch noch Martini-Fanta aus Plastikbechern, hinter der Tankstelle.
    Und das Grönemeyer-Spiel, das werde ich auch noch irgendwo finden.
     
    Meine Frau sagte, wir sollten jetzt mal ins Krankenhaus fahren.
    Wir parkten außerhalb der Parkgebührzone. Denn es gab Sätze, die wollten wir beide weder hören noch denken.
    »Was glaubst du, wie lange du noch brauchst? Also nur so … also wegen der Parkuhr«, war zum Beispiel so einer. Oder: »Ich gehe noch mal raus, nachwerfen. Es wird ja nicht gerade in den nächsten Minuten ernst werden, oder?«
    Also parkten wir außerhalb. Und ja, auch jetzt war es gut, dass die Großeltern da waren: Weil sie dann Gianna und Elena hüten konnten, während wir in der Royal Infirmary of Edinburgh waren.
    Ich wusste, wo wir hin mussten, stützte Viola mit dem rechten Arm, in der linken Hand den Geburtskoffer mit Morgenmantel, Wollsocken, rich chocolate cookies und einer toskanischen Salami, die meine Schwiegereltern meiner Mutter extra noch mitgegeben hatten.
    »Das Kind braucht doch Kraft«, meinten sie. Wobei mit »Kind« meine Frau gemeint war.
     
    Als wir damals auf unserem Zwischenstopp in München den Freunden eröffnet hatten, dass wir erstens gleich wieder abfahren würden, nach Schottland, ich zweitens das Studium dann halt irgendwie dort fertigmachen würde und drittens: Wir noch ein Kind bekämen, ja auch dort – da war die Stimmung gemischt. Wir, so sagten die Gesichter der Freunde, waren auf dem Weg, Sonderlinge zu werden.
    Niemand aus dem engeren Freundeskreis hatte damals selbst ein Kind. Familie gründen, Eltern und Vorbild sein, das alles waren Themen, die noch von der Welt und den Werten der Generation unserer Eltern bestimmt waren. Irgendwann nahm mich Tobias, der seinen Zivildienst in einer Behindertenschule gemacht und dort danach neben dem Studium immer mal wieder ausgeholfen hatte, zur Seite: »Ich wünsche euch alles Gute.« Dann ging er ein wenig mit der Stimme runter. »Es ist schon krass. Wenn das Kind behindert ist, dann müsst ihr halt euer ganzes Leben umstellen.«
     
    Auf dem Flur 119 war nicht viel los, wir durften sofort in den Kreißsaal, Nummer fünf: Gymnastikball, Duftschälchen, Lachgashahn.
    Viola wollte aufs Bett. Mehr nicht. Sie fand das mit dem Lachgas nicht witzig. Und damit ich es gleich wusste: »Heroin lasse ich mir auch nicht geben.«
     
    Auf dem winzigen Armbändchen, das in Camillas Tagebuch klebt, steht »Baby Cadeggianini Girl 12 / 06 / 03 @ 10  .  39 «. Es ist das erste Mal, dass ich – was bei mir bis dato immer noch »Klammeraffe« hieß – und in Italien »Strudel« mit gerolltem »r«, so wie es die Schotten auch gern mit ihrem R tun – als Platzhalter für »at« entzifferte.
    Und als die Hebamme plötzlich das tief violettfarbene Baby in den Händen hielt, schaute sie kurz, wuchtete es herum, stemmte es wie einen Pokal in die Höhe und sagte mit schottischem Akzent: »We have a wee Scottish

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