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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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triefender, tropfender Kuhstall-Windeln nichts weiter als eine Unverschämtheit.
    Ich packte den Eimer an Rand und Boden, schwenkte ihn prüfend, berechnete Armwinkel, Streufeuer, Einflugschneise, Lukengröße. Ich stand im Bad wie Tiger Woods beim Abschlag: wippte, wiegte, zielte, holte Schwung – und …
    Am Ende schafften es genau drei der 17  Windeln in den Maschineninnenraum. Die anderen klatschten gegen die Frontseite rund um die Luke, fielen von dort leblos auf den Boden, markierten wie Paintballmunition alles, was sie berührten.
    Das Wort ist kurz, es ist Englisch und ich stieß es dreimal hintereinander hervor – während Windelsud aus der Luke sabberte, Kuhstallsuppe die Fliesenfugen entlang – und unter die Waschmaschine rann.
     
    An unserer Windelkarriere lässt sich ziemlich genau ablesen, wie sich Prioritäten verschieben. Elternsein ist Mangelverwaltung. Zeit, Souveränität, Aufmerksamkeit, Gelassenheit, Bananen. Von nichts gibt es genug. Elternisten gehen dem Mangelmanagement aus dem Weg, indem sie auf ihrem Perfektionismus bestehen, sich auf Nebenfelder der Eltern-Kind-Beziehung versteifen, die ohne Kompromisse auszukommen scheinen. In Wahrheit geht es aber darum, im Mangel zu priorisieren, die Kompliziertheit zuzulassen, mit Mut in den Kompromiss hineinzugehen und dabei halbwegs den Kopf über Wasser zu halten, obwohl so viel hinten runterfällt.
    Wie viel Energie sind wir bereit, auf die Hinternpflegeoptimierung unserer Kinder zu verwenden? Wir haben diese Frage im Laufe unserer nun schon zehnjährigen Wickelkarriere ganz unterschiedlich beantwortet. Mit steigender Anzahl der Kinder wuchs unsere Bereitschaft, Ideologien abzuschwören. Von Mehrwegwindeln sattelten wir auf Wegwerf-Ökomarken um. In Edinburgh haben wir mit Kind drei zum Discounter gewechselt. Ab Kind fünf benutzten wir sogar die fiesen Feuchttücher, von denen mal eine Freundin meinte, sie habe die jetzt gerade bei sich ausprobiert, eine Woche lang.
    »Und?«
    »Das ist nichts.«
    »Warum?«
    Ihr Hintern jucke jetzt ganz grauenhaft. Nein, so was komme nicht an den Popo ihres Kindes. »Auf keinen Fall. Nie.«
    Neulich meinte Viola, ob ich mir vorstellen könnte, einen Windel-Twister zu kaufen. Eine dieser dekadenten, neureichen Bionade-Ära-Erfindungen? Eimer auf, Windel rein und schon wird sie geruchsversiegelt in einer eigenen Tüte eingedreht.
    »Nein, Viola. Auf keinen Fall. Kommt mir nicht ins Haus.«
    »Dann eben nicht.«
    »Dieses morbide Teil. Auf was für Ideen du auch kommst!«
    »Ist ja gut.«
    »Was kostet das denn überhaupt?«
     
    Meine Eltern kamen nach Edinburgh zu Besuch. Das war gut, weil es immer auch kompliziert ist, jemanden, den man schätzt, in eine neue, frisch eroberte Welt einweihen zu können: Da waren all die Charity Shops und die geheimnisvollen Tennent’s, natürlich auch die Royal Mile, Princes Street und Arthur’s Seat, das Castle und das brandneue Parlament, in dem bald die Stimme von Vorzeigeschotte Sean Connery die Geschosse im Aufzug ansagen sollte, was dann aus irgendwelchen Gründen doch nicht geklappt hat.
    Aber auch, weil sie dann Großeltern sein und wir ein wenig Twenty-Somethings spielen konnten: ein Ausflug nach Glasgow oder hier ins Theater, zu zweit ins Kino (dort zum Beispiel sahen wir im Werbeblock einen Anti-Euro-Spot: Schwarzweißflimmern, alles sieht nach historischer Aufnahme aus, ein Mann zappelt im Hitlerkostüm, dazu Mikrophonknistern, Reichsparteitagsraunen. Hitler hampelt, streckt Finger und Hand nach vorne, brüllt: »Ein Volk! Ein Reich! Ein Euro!«).
    Anderntags gingen wir mit dem Creative-writing-Kurs, den ich in einem Anfall von »Ich brauche ein komplizierteres Leben« gebucht hatte und für den ich viel zu schlecht Englisch sprach, in die Kneipe. Ich erzählte von dem Container bei uns auf der Straße, den Schrauben und Polizisten. Einer aus unserem Kurs schrieb später darüber eine Kurzgeschichte: »Screwing in skips«. Wir spielten Kneipen-Jenga. Man baut aus Holzziegeln im Format von Zigarettenstangen einen Turm, immer drei auf einer Ebene, die nächste um 90  Grad gedreht. Steht der Turm, muss reihum jeder einen Stein rausziehen und nach dem Dreierschachtelsystem wieder obendrauf legen. Der Turm wächst in die Höhe, wer ihn umwirft, zahlt die nächste Runde: Man bekommt immer mehr, als man bestellt.
    Ich habe in meinem Leben verschiedene Alkoholspiele mitgemacht. Eins davon ist
Beer Pong
, das mir ein Schulfreund mit großem Getöse gezeigt hatte.

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