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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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Schelte gefasst. Stille. Zuerst war da nur die leere Leitung. Ich hörte Viola ins Telefon atmen. Sie schwieg, atmete noch mal tief. Dann sagte sie: »Sag mal, da ist es doch wärmer als in Italien, oder?«
     
    Viola, sonnenabhängig, sie birst vor Zutrauen. Sie sagt gern: »Das wird toll.« Und wenn es wirklich etwas ganz Schlimmes ist, ändert sie ab auf: »Das wird schon.« Sie hat auf alle unsere Buchrücken Signaturen geklebt und die Titel in einer Exceltabelle verschlagwortet. Sie hat mich zum Trampen und Wildcampen überredet. Auf Korsika, in Schweden, in Finnland, in Ungarn, in Italien.
    Jetzt also Israel. Viola sagte: »Das wird toll.«
    Und ich? Was sollte diese ewige Auslandsreiserei eigentlich? Wann wird »Ich bin weit herumgekommen« zu »Ich bin weit
herunter
gekommen«? Hannibal und Patachon, die CYL -Agenten, schüttelten nur den Kopf. Dieses Telefonat, bei dem mir Viola vom teuren Briefpapier die Stipendiumszusage vorlas und wir beide mit Herzhüpfen ein paar Mal schluckten, Spontan-Sorgen austauschten – »Ist das für unsere Kinder nicht die falsche Welt?« – »Wann war noch mal der letzte Selbstmordanschlag?« »Wie ist das als Deutscher dort?« – , dieses Telefonat war ganz eindeutig ein Fall für Patachon: »Hauptsache, anders. Hauptsache, nicht normal.«
     
    »Und wer hat das bitte gepackt?«, fragte der Sicherheitsmann in Halle F des Münchner Flughafens, dem Extra-Gate, an dem alle Israel-Flüge abgefertigt werden. Die Haare gegelt und aufgeigelt, die Miene unwirsch, dazu ein steifer Anzug, jede Menge Berechtigungskärtchen, die er an Bändern um den Hals trug, im rechten Ohr steckte ein Knopf, von dem durchsichtiges Telefonhörerkabel in seinen Hosenbund führte und dort verschwand. Vor ihm stand ich, eines der Kinder an der Hand und Lorenzo, sieben Monate alt, auf dem Arm. Hinter mir reihten sich sechs gesteckt volle Gepäckwagen, dahinter Viola und noch mal zwei Kinder. Die drei waren gerade noch in Rufweite. Wie Warentrenner auf einem überdimensionierten Förderband beim Großeinkauf: Nein, das da hinter gehört tatsächlich nicht mehr zu uns.
    Der Mann ließ das einzige »S« in der Frage gefährlich zischen.
    »Und wer hat
das
bitte gepackt?«
    Was sollte man da jetzt antworten?
    »Ja, ich. Gestern Abend, und dann habe ich Arm in Arm mit dem Gepäck geschlafen, es nie mehr aus den Augen gelassen und mit dem eigenen Wagen direkt hier vor Sie hergefahren.«
    Sechs Gepäckwagen voll? Arm in Arm? Direkt?
    Solche Sicherheitsleute müssen sich jeden Tag Hunderte von Lügen anhören. Entweder man stumpft ab, reagiert nur noch auf Signalwörter, oder man wird bissig, liest zwischen den Worten, im Gesicht, im Augenaufschlag, in der Handbewegung.
    Bei dem Mann im steifen Anzug tippte ich auf Beißwut und begann zu schwitzen.
    Trotzdem musste man ja nicht gleich mit der ganzen Wahrheit rausrücken. Dass wir etwa seit dreieinhalb Wochen bröckchenweise gepackt, mal hier, mal da eine Tasche fertiggemacht hatten, dass ein Teil tatsächlich tagelang unbewacht im Gartenhäuschen meiner Eltern herumgestanden hatte, ein anderer bereits am Vorabend aufs Autodach geschnallt worden war. Und dann, ja dann war kurz vor der Abfahrt ja auch noch der Schwager gekommen, in der Hand einen Koffer mit einem breiten Stoffband: grün-weiß-rot. Italia. Die Schnalle war kaputt, das Band hat ihn aber prima zusammengehalten. »Das ist ohnehin besser«, meinte er. Tricolore und so. Das hätte seine Frau extra noch für uns … Ich wuchtete das Ding in den Wagen.
    17 , 3  Kilo, wie ich später an der Gepäckwaage erfahren sollte. Michelangelo grinste bis über beide Koteletten, umarmte uns: »Tutto bene? Auguri.«
     
    Der Kopf des Sicherheitsmanns schob sich Millimeter für Millimeter in meine Richtung. Oder bildete ich mir das nur ein? Vielleicht haute er mir auch gleich eine rein.
    »Wer hat das bitte gepackt?« Ich musste jetzt echt mal antworten.
    »Wir beide«, sagte ich holprig. »Also, die Frau da hinten und ich.«
    Klar, ich hätte jetzt besser aufpassen müssen, dann hätte ich das, was jetzt gleich passierte, verhindern können. Aber wirklich allein schuld war ich nun auch wieder nicht, schließlich war es ja er, der mir so zu Leibe gerückt war.
    Jedenfalls grapschte Lorenzo nach einem dieser Plastikkärtchen, die um den Hals des Sicherheitsmanns baumelten, schob es sich umgehend tief in seinen zahnenden Rachen und biss zu. Für ein paar Sekunden waren wir drei uns gefährlich nahe. Der Mann im

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