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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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steifen Anzug, weil das Plastikkärtchen wie ein Kalbstrick um seinen Hals montiert war. Ich, weil ich Lorenzo nicht einfach loslassen konnte. Lorenzo, weil er nicht loslassen wollte.
    Die Stimmung hellte das alles nicht auf. Der Sicherheitsmann wollte jetzt die Koffer sichten, ging mit wiegenden Schritten an der Gepäckwagenschlange entlang. Und schon der zweite, den er ausgewählt hatte, war der Schwagerkoffer.
    »Was ist da drin?«, fragte er.
    »Den hat meine Frau gepackt«, log ich.
    »Aufmachen!«, befahl er.
    In dem Koffer waren nur drei Dinge. Aber davon reichlich. Es waren die drei Ps, deren Fehlen für Italiener einem Leben ohne Sinn gleichkommt. Pasta, Pomarola, Parmigiano. 17 , 3  Kilo. Die Pomarola war selbst eingemacht, und ich sah meinen Schwager vor mir, wie er seiner Frau erklärte, was sie alles tun müsse, um die perfekte Pomarola hinzubekommen. (Wann bei welchem Bauern welche Tomaten kaufen, wie waschen, wie schneiden, welche Hitze, wie viel Salz, welche Gläser …) »Sie ist der Mittelpunkt des Sugo«, sagt Michelangelo immer, der Mittelpunkt der Soße. »Versaust du die Pomarola, versaust du die ganze Pasta.«
     
    Nach etwas mehr als einer Stunde war der Sicherheitsmann mit mir und dem Gepäck fertig. Patachon war hochzufrieden. Nichts war normal gelaufen. Nicht die Kontrolle und nicht das Kinderbegleitprogramm. Gepäckwagenrennen zum Beispiel mit Kleinkind-Ben-Hurs kommen in Halle F des Münchner Flughafens ganz schlecht an; Polizisten zu löchern, ob ihre Maschinenpistolen auch wirklich echt sind, auch. Und dann hartnäckig zu bleiben, macht es nur noch schlechter. Und immer wieder durch die Metalldetektoren der Sicherheitsschleusen zu flitzen ist schlichtweg verboten.
    Ich dürfte jetzt einpacken, sagte der Mann noch und winkte dann den nächsten Passagier heran.
     
    Schmach und Demütigung sind die Lernfenster im Erwachsenenleben. Es sind die Momente im Leben, in denen die Zeit plötzlich lang wird, man niemandem ins Gesicht sehen will, in sich kehrt und sich vornimmt, bestimmte Dinge in Zukunft grundsätzlich anders anzugehen. Packen zum Beispiel.
    Unser Gepäck sah nach der Sicherheitskontrolle aus wie nach einer Dachspeicherauflösung, bei der jemand zu faul zum Treppensteigen gewesen war und kurzerhand alles in den Hof geworfen hatte. Die Schlange der Mitreisenden glotzte, Lorenzo biss in einen der vakuumverschweißten Parmesan-Keile.
    Männern bleibt das Potential von Schmach und Demütigung häufig verborgen. Testosteronverdorben und logikfern herrschen sie dann den Nächstbesten an. Aber natürlich hatte Viola recht und weder sie noch Lorenzo trugen Schuld an der Gesamtlage. Aber – Himmelarschundzwirn – dann war auch noch der schnallenschwache Schwagerkoffer so kaputt, dass er in Halle F bleiben musste.
    Manchmal, wenn das Schicksal einfach immer weiter auf einen eindrischt, schlägt laute Verzweiflung in stillen Fatalismus um. Und so war es damals auch. Ich schaute zu Boden und begann zu packen, bugsierte und stopfte, drückte und rüttelte, zerrte an Reißverschlüssen und Schnallen, sah im Tunnelblick nur noch Gepäckberg und Taschen und Koffer. Ich packte mich in einen Rausch, in Trance. Ich wickelte Pullover um Pomarolagläser, versenkte zwischen Kinderwäsche Parmesan-Keile, insgesamt fünf, jeder zu eineinhalb Kilo.
    »Es gibt da diese tibetanischen Buddhisten«, murmle ich zu Viola, »die drapieren aus verschiedenfarbigem Sand kunstvolle Gemälde auf den Boden und zerstören anschließend in wenigen Augenblicken das Werk wochenlanger Arbeit. Übrig bleibt nur ein Häuflein Mischsand, den die Mönche dann mit großem Ritus in einen Fluss streuen.« Viola öffnete die Pappschachtel mit ihrem Fahrrad, schnallte Pasta auf den Gepäckträger, verklebte sie mit Packband, schüttelte den Kopf.
    »Leute gibt’s.«
     
    An diesem Abend auf dem Parkdach ist Viola irgendwie anders. Ihr unausgeruhter Blick, ihre Bewegungen, wie sie schon zum Bier greift: Alles ist nur Anlauf, nur Vorbereitung, nichts ruht in sich, nichts hat den befreiten Leichtsinn von sonst. Heute würde es nicht dabei bleiben, dass es irgendwann einfach nur gemütlich sein wird, wir uns was erzählen, ein wenig kabbeln, wieder versöhnen, den Abend in unsere Arme kommen lassen. Dieser Abend ist anders, hat einen Plan. Und der Plan ist nicht von mir.
    Plötzlich macht es einen lauten Knall. Ich fahre zusammen, schaue in Violas Gesicht. Auch sie ist erschrocken. Ich luge vom Dachrand: Krakelende Jugendliche

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