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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Cadeggianini
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Gaza.
    An diesen Luxushotels zeigt sich die ganze Absurdität des Lebens im Gazastreifen. Häufig reicht der Optimismus der arabischen Finanziers nur bis zur dritten oder vierten Etage. Von dort ragen Stahlstreben aus dem Rohbeton in den Himmel, immer bereit, in guten Zeiten doch noch weiterzubauen.
    Leben herrscht in den Luxushotels vor allem im Untergeschoss und im Krieg.
    Im Untergeschoss sind die großen Festsäle, in denen die Bewohner ihre Hochzeiten ausrichten, für die sie sich für den Rest ihres Lebens verschulden. Im Krieg sind auch die oberen Etagen der Hotels im Gazastreifen ausgebucht. Dann mieten sich Journalisten in die Parallelwelt dort ein, mit WLAN , Cappuccino und frisch gepressten Fruchtsäften: »Im al-Deira gibt es herrlichen Fisch« – direkt neben Flüchtlingslagern, Dreck und Elend. In manchen Städten hängen noch immer Plakatbanner des Tourismusministeriums Gaza über den Straßen, voll mit dem Optimismus von damals, ein kleiner Junge auf einem Fischerboot ist darauf zu sehen: »Besuchen Sie Gaza«. Oft sind die Plakate mehrmals durchschossen.
    Der Gazastreifen ist abgeriegelt. Junge wehrpflichtige Soldaten sitzen in einer Art Baucontainer am Grenzübergang Erez, scannen Dokumente, händigen Formulare aus, fragen Vorgesetzte. Kein Tourist kommt hier rein, Bedingung ist Diplomatenpass oder Presseausweis der israelischen Regierung.
    Und Teil des Gaza-Wahnsinns ist diese Stimmung schon im Grenzposten-Container wie in einem dieser »Eis-am-Stil«-Filme. Ich füllte Listen aus, erfand Gründe, warum ich hinein wollte, unterschrieb, dass ich im Falle einer Entführung auf jegliche Hilfe des israelischen Staates verzichten würde. An der Wand hinter den Soldaten mit Pubertätspickeln hing ein Blatt in Mädchenschrift, Yehuda stand in der Mitte, ein Herz drum rum und viele Pfeile.
    Später, als ich mit Ranya, einer Freundin aus dem Gazastreifen, im Auto saß und sie mich fragte, wie es war – der eine Kilometer Fußweg durch den Niemandslandtunnel hinter mir, eine Schleuse zwischen zwei verschiedenen Welten: Auf der einen Seite der israelische Grenzübergang, mit den »Eis-am-Stil«-Soldaten, mit Nacktscannern und Hi-Tech-Security. Auf der anderen Seite zwei Kalaschnikows auf einem Campingtisch, palästinensische Brummbär-Beamte, die meine Personalien handschriftlich in eine Liste eintrugen – da sagte ich zu Ranya: »Nichts Besonderes. Alles wie immer.«
    Einmal war es nicht wie immer. Ich war gerade auf dem Weg von Gaza zurück nach Tel Aviv, vorbei an den Campingtisch-Brummbären, rein ins Niemandsland, den Tunnel dazwischen. Am ersten Gatter staute sich alles. Es war Anfang November, der Ramadan war gerade vorbei. Mehrere hundert Palästinenser warteten. So voll war es noch nie. Diesmal waren es nicht Kranke, die zur medizinischen Versorgung nach Israel wollten, und auch nicht Männer, die sich dort als Tagelöhner verdingten. Diesmal waren es Familien aus dem Westjordanland, die die Festtage bei Verwandten im Gazastreifen verbracht hatten und jetzt wieder nach Hause wollten. Aber es ging nichts weiter.
    Die Ansagen der israelischen Armee durch die Lautsprecher verstand ich nicht. Wir warteten. Eineinhalb Stunden. Dann wieder irgendwelche Durchsagen aus den Lautsprechern. Und auf einmal – auf einmal wirbelte diese tiefverschleierte Frau ihre Hände durch die Luft, schrie, als ob es um ihr Leben ginge. Ich verstand nichts. Sah nur, wie alle zur Seite stürzten, weg von der Frau. Panik. So wie der Ölfilm zur Seite gedrängt wird, wenn man einen Tropfen Spülmittel hineingibt, so drängte plötzlich alles weg von einem Punkt. An diesem Punkt stand die fuchtelnde, schreiende Frau, um sie herum Platz und Leere.
    Aber es passierte nichts. Die Frau hatte keinen Sprengstoffgürtel umgebunden, sie war keine Selbstmordattentäterin, sie beruhigte sich; die Menschen neben ihr versuchten es auch. Die israelischen Soldaten hatten alles über Videokameras beobachtet. Wieder die Lautsprecher – jetzt sehr klar: Heute werde das Gatter nicht mehr aufgehen, sagten die Soldaten, wir sollten alle nach Hause gehen.
    Ja gern, nach Hause, dachte ich und blieb.
    Und tatsächlich öffnete sich das Gatter dann doch noch. Als fast alle anderen schon gegangen waren.
     
    Ranya wohnt in Beit Hanoun, einem Dorf ganz im Norden des Gazastreifens, das berühmt wurde, weil von dort, aus dem Dickicht der Gärten und Orangenplantagen viele Tausende Kassamraketen Richtung Israel abgefeuert wurden.
    Ich mag Ranya sehr

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