Aus Nebel geboren
trübten die engen Sitzreihen seine und Cruz‘ Laune noch weiter.
Fay, die zwischen Lamar und ihm saß, weil er so wenigstens seine Beine in den Gang strecken konnte, schien eingeschüchtert. Sie hielt eine Hand auf ihre Wunde, und die andere umklammerte die Armlehne. Sie war sehr blass und ungewöhnlich still.
Julien fragte sich, ob es an seinen Männern, am Flug, dem Stress oder ihrer Verletzung lag. Er machte sich große Vorwürfe, sie in Gefahr gebracht zu haben, aber insgeheim war er dennoch froh, einen Grund zu haben, noch länger in ihrer Nähe zu bleiben.
Er versuchte, über die anderen Passagiere hinweg einen Blick aus einem der kleinen Fenster zu erhaschen, aber eine Stewardess verstellte ihm die Sicht. Fay anzusehen, wagte er jedoch auch nicht, denn dann müsste er sich dem stellen, was sie in ihm wachrief. Vielleicht hatte er Lamar doch nicht die Wahrheit gesagt, als er behauptet hatte, seine Gefühle unter Kontrolle zu haben.
Verdammt, er wünschte, seine Gefühle nicht kontrollieren zu müssen! Er wünschte, ihnen nur einmal freien Lauf zu lassen und zu sehen, wohin ihn dies führen würde.
Aber das war nicht möglich. Es würde alles unnötig schwer machen – und am Ende bliebe nur Schmerz. In den letzten Jahrhunderten hatte er doch gelernt, seine eigenen Wünsche, Träume und Bedürfnisse hinter seine Aufgabe, die Wahrheit zu schützen, zu stellen. Warum also wollte es ihm diesmal nicht gelingen, Fay aus seinen Gedanken zu vertreiben? Es war beinahe, als verfolgte sie ihn. Ihr Duft, der so zart aus ihrem Haar aufstieg, ihr trauriger Blick, der ihn wütend auf die Welt machte, und die Erinnerung an ihren perfekten Körper, den er zugleich berühren und beschützen wollte.
Frustriert und verwirrt fuhr er sich durchs Haar und stöhnte innerlich. Wie sollte er auch einen klaren Kopf bekommen, wenn er ihr so nahe war? Ihre weichen Locken fielen bis auf seinen Arm auf der Armlehne herunter und raubten ihm fast den Verstand.
Endlich wurde die Anschnallpflicht aufgehoben. Kaum war das Signallämpchen erloschen, schnallte Julien sich ab und floh nach hinten in die Maschine. Er lehnte sich neben der Toilettentür an die Flugzeugverkleidung und murmelte einen Fluch.
Gerade jetzt, wo ihre Feinde aus ihrem Dämmerschlaf zu erwachen schienen, brauchte er seine Sinne für die wichtigen Dinge. Rom war mit schmerzhaften Erinnerungen verbunden, und weder er noch Cruz oder Lamar waren besonders scharf darauf, sich in Reichweite des Vatikans zu begeben. War er also wirklich, wie er vor Fay noch behauptet hatte, seinem Kopf gefolgt – oder vielleicht doch seinem Herzen?
Wütend auf sich selbst murmelte er einen weiteren Fluch und hoffte, das Bordpersonal würde ihn nicht für verrückt halten.
„Julien?“
Er stöhnte, biss die Zähne zusammen und wandte sich um. Es war zum Wahnsinnigwerden!
„Fay, was … warum bist du nicht auf deinem Platz? Du solltest dich nicht so viel bewegen.“ – Und mir vor allem nicht folgen, wenn ich versuche, deiner Nähe zu entkommen .
„Ich wollte dir danken. Seit Chloé verschwunden ist, hatten wir keine Minute für uns. Alles, was ich gehört habe ... nichts, was ihr sagt, ergibt für mich Sinn! Du, deine Männer … was seid ihr? Von welcher Gefahr, welchen Feinden sprecht ihr? Wer ist der Wanderer? Ich verstehe das nicht.“
Sie sah ihn mit großen, fragenden Augen an. Wunderschön stand sie vor ihm. Ihr flammendes Haar umschmeichelte ihr Gesicht, und ihre schlanke Silhouette zeichnete sich dunkel vor dem Fenster ab. Hier, über den Wolken, in der Sicherheit dieses Flugzeuges gab es keine Feinde. Da gab es keine Wahrheit , die geschützt werden musste, und keine Ewigkeit, sondern nur zwei Stunden, in denen er ein Mensch unter vielen war.
Das Flugzeug ruckelte, und Fay wankte. Julien streckte die Arme aus und zog sie an seine Brust. Sein Atem kam so schnell wie ihrer, als sie ihre Hände um seinen Nacken legte und ihm tief in die Augen sah.
„Wer bist du, Julien?“, hauchte sie, hob sich auf die Zehenspitzen und ließ ihre Lippen ganz sanft über seine schweben. Sie zitterte in seinen Armen und drängte sich an ihn, küsste ihn aber nicht.
Darum tat er es. Mit einem Hunger, den er nicht länger unterdrücken konnte, verschloss er ihre Lippen mit seinen. Er presste sie an sich, genoss ihren Körper, der seinen entflammte, und vertiefte den Kuss. Er wollte sie schmecken, sie atmen – und sich tief in ihr verlieren. Er wollte sie lieben.
Wer bist du, Julien? ,
Weitere Kostenlose Bücher