Aus Nebel geboren
Schultern.
„Aber zuvor muss ich euch sagen, dass es Männer gibt, die von dem Elixier wissen. Sie nennen sich die Bruderschaft des wahren Glaubens, und sie vertreten die Meinung, dieses Elixier stünde allen Menschen gleichermaßen zu. Sie wollen eure Kirche mit ihren christlichen Lehren stürzen und – wenn man mich fragt – sich vor allem selbst bereichern.“
„Wer steckt hinter dieser Bruderschaft des wahren Glaubens ?“, fragte Arjen.
Said hob ratlos die Hände.
„Die Bruderschaft wächst. Verständlich, denn wer würde nicht dem Versprechen von Unsterblichkeit glauben wollen? Wer jedoch das Haupt hinter diesem Bund ist, vermag ich nicht zu sagen. Aber sie verfügen anscheinend über Reichtum. Die Bruderschaft ist gut gerüstet und noch besser bewaffnet. Ihr dürft niemandem mehr vertrauen.“
„Reicht es denn aus, diesen Rubin zu schützen, wenn es noch weitere gibt?“, fragte Claudio. „Geht dann nicht die gleiche Gefahr auch von den anderen aus?“
„Wir werden also die Wahrheit hüten und den Spuren, die uns zu den anderen Rubinen führen können, nachgehen“, ergänzte Gabriel.
Julien stimmte dem zu.
„Wir bringen jede einzelne Phiole in unseren Besitz – und beginnen werden wir dort, wo Jesu Spuren enden. In Rom. Lasst uns, aus Nebel geboren, für alle Zeit zu Hütern der Wahrheit werden!“
Mit diesen Worten öffnete Julien den Rubin.
Die Lorbeerspur
Paris, heute
Es war dunkel in der Dachkammer, als Julien Fay vorsichtig auf die einfache Matratze bettete. Ihm kam es vor, als hätte nicht die Nacht, sondern seine Sorge um die Frau vor ihm der Welt die Farben genommen. Wieder verfluchte er Gabriel, ausgerechnet sie in diese ganze Sache hineingezogen zu haben.
Julien fühlte sich verantwortlich für Fay, fühlte ihre Wunde, als wäre es seine eigene, und fragte sich zum hundertsten Mal in den letzten Minuten, warum er nicht darauf bestanden hatte, bei ihr zu bleiben? Aber die Antwort darauf war ebenso schmerzhaft wie wahr: Er hatte ihrer Nähe entkommen wollen, ehe seine mühsam auferlegte Selbstbeherrschung Risse bekam, denn Fay weckte eine Sehnsucht in ihm, die ihm Angst machte. Eine Sehnsucht nach etwas, für das in seinem endlosen Leben kein Platz war.
Es war verrückt, denn er kannte sie kaum – und dennoch wünschte er sich, neben ihr zu erwachen. Er wünschte sich, sie anzusehen und dabei nicht zu wissen, dass es keine Zukunft für sie beide gab. Nur einmal in seinem langen Leben wollte er mehr als bedeutungslosen Sex. Wollte fühlen, wie es wäre, einen Menschen bedingungslos zu lieben und von diesem geliebt zu werden.
Ob es Gabriels überraschender Tod war, der ihm das deutlich machte? Julien wusste es nicht, aber er schätzte seinen Freund als glücklich, sein Herz vor seinem Tod wenigstens einmal für die Liebe geöffnet zu haben – auch wenn es Gabriel mehr gekostet hatte, als sie sich je hatten vorstellen können.
Aber er, Julien, war nie bereit gewesen, so einen hohen Preis zu bezahlen – nicht für etwas so Vergängliches wie die Liebe. Auch wenn es Zeiten gab, in denen er schmerzlich unter der selbst gewählten Einsamkeit gelitten hatte. Er hatte aber auch deshalb nie geliebt, weil er keiner Frau begegnet war, die seinen Geist, seinen Körper und sein Herz zugleich entflammt hatte.
So manches Mal hatte ihm die Einsamkeit vorgegaukelt, eine Frau, mit der er schlief, könnte diese Leere in ihm füllen. Aber, nachdem er sein Verlangen gestillt hatte, wunderte er sich über diesen Gedanken, denn in Wahrheit hatte er sich danach zumeist nur noch viel einsamer gefühlt.
Doch die Angst, die Juliens Herzschlag jetzt beschleunigte, die ihm den Schweiß ausbrechen und seine Hände zittern ließ, zeigte ihm, dass der eine Tag in der Nähe dieser rothaarigen Schönheit ihn tiefer berührt hatte, als er bisher geglaubt hatte.
Er wischte sich die Haare aus der Stirn und knipste die Nachttischlampe an. Blass und reglos lag Fay vor ihm, und es kostete ihn einiges an Mühe, seinen Blick von ihrem verletzlichen Antlitz zu nehmen und sich stattdessen um die Wunde zu kümmern. Er zog ihren Arm aus der Jacke und schob das Shirt bis zu dem Rippenbogen nach oben, aus dem das Blut noch immer sickerte.
Julien biss wütend die Zähne zusammen. Er spreizte die Wunde und war froh, zu erkennen, dass der Querschläger aus der Waffe des Wanderers an Fays Rippe abgeprallt und sie dadurch nur leicht verletzt hatte. Trotzdem sollte das genäht werden. Er ging in das kaum abgetrennte
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