Aus Nebel geboren
Befürchtungen.
„Er spielt mit uns“, stellte Julien fest.
Lamar drehte den Euro zwischen seinen Fingern und nickte.
„Ein italienischer Euro“, bemerkte er und strich nachdenklich über das Lorbeerblatt.
„Es war also wirklich unser alter Bekannter. Du sagtest, er hat Gabriel auf dem Gewissen. Wer hat ihn dafür bezahlt, Juls?“
„Was denkst du?“
„Wenn ich eins und eins zusammenzähle – der Lorbeer, den er für sich gewählt hat, seinen Hinweis … eine italienische Münze … und die Nachricht, die Cruz vom Eingang weggelockt hat ... – Jede Wette, dass sich sein Geldgeber hinter den sicheren Mauern des Vatikans verbirgt“, schlussfolgerte Lamar.
Julien rieb sich grübelnd das unrasierte Kinn.
„Was, wenn es eine Falle ist? Was, wenn er uns nur dorthin locken will, um …“
„Ich bin auch unsicher. Eigentlich trägt diese ganze Sache eher die Handschrift der Bruderschaft als die der Kirche. Der Vatikan hält sich seit über hundert Jahren still an unser Abkommen – warum sollte man dort plötzlich die Richtung wechseln?“, stimmte Lamar zu.
„Der Wanderer hätte keine Skrupel, von beiden Geld zu nehmen und dann nach Gutdünken zu entscheiden, was er tut. Er hat auch von uns Geld genommen, um zu vergessen, dass wir existieren – und Gabriel dennoch getötet“, gab Julien zu bedenken.
„Okay, okay! Ich versteh nur Bahnhof, und das, was ich verstehe, ergibt auch null Sinn! Nur, wo zur Hölle ist Chloé – wisst ihr das? Ich kapiere überhaupt nicht, wie ihr hier so seelenruhig herumstehen könnt, während der Geisteskranke sich mit meiner Schwester davonmacht! Ihr glaubt doch nicht wirklich, dass er sie nach Italien verschleppt, oder? Das ist doch absurd!“
Fay kämpfte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Beine hoch und stützte sich gegen die Wand.
Julien ahnte, dass sie – egal, was er sagte – auf jeden Fall irgendetwas unternehmen würde. Vermutlich etwas Dummes. Wenn sie Chloé als vermisst oder gar als entführt melden würde, würde der Wanderer sich das Mädchen vom Hals schaffen, das war klar. Ohnehin blieb sie nur am Leben, wenn sie genau tat, was er von ihr verlangte. Der Kerl spielte zwar gerne seine sadistischen Spielchen, aber nur, solange er die Regeln vorgab.
Julien stützte Fay, und wieder verspürte er den übermächtigen Drang, sie vor alldem zu beschützen.
„Beruhige dich, Fay. Ich schwöre dir, ich bringe Chloé zurück“, versicherte er ihr, aber Lamar unterbrach ihn.
„Unser Weg führt uns nicht nach Italien! Wir müssen die Wahrheit in Sicherheit bringen, Juls. Der Wanderer kann nur spielen, wenn einer darauf einsteigt. Vergiss ihn, dann …“
„Dann tötet er Chloé!“, schrie Fay, krallte sich an Juliens Arm und funkelte Lamar böse an.
„Das darfst du nicht zulassen! Bitte! Scheiße, ich weiß nicht, was ich tun soll, aber bitte, Julien, bitte … du musst mir helfen!“
In ihren haselnussbraunen Augen schwammen Tränen, und Juliens Kehle wurde eng, weil er ihr nicht sagen konnte, dass sie und ihre Belange, ja sogar das Leben ihrer Schwester, keinerlei Wert hatten, wenn dafür die Wahrheit auf dem Spiel stand.
Es fiel ihm schwer, sich von ihrem Anblick loszureißen, so sehr sehnte er sich danach, sie tröstend in die Arme zu nehmen und ihr zu versichern, dass alles gut werden würde. Aber es gab in seinem Leben schon genug Lügen, also schwieg er.
„Komm jetzt, Juls. Louis und Cruz warten“, forderte Lamar und wandte sich ab, aber ehe er zur Tür hinaus war, rief Julien ihn zurück.
„Warte! Sag den beiden, sie sollen den Stein nach Hause bringen und für seine Verwahrung sorgen. Und dann besorgst du uns Tickets nach Rom.“
„Du bist verrückt, Julien! Was sollen wir dort? Sind wir jetzt schon ein Haufen Kerle, die vermisste Mädchen retten? Haben wir nicht Wichtigeres zu tun?“
Julien kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
„ Wir haben das hier angerichtet! Muss ich dich daran erinnern, dass wir Ehre im Leib haben? Dass wir keine Trümmerfelder hinterlassen, weil wir dann nicht besser wären als unsere Gegner?“
„Geht es um dieses Weib? Machst du wegen ihr so einen Aufstand?“, fragte Lamar grob und sah Fay abfällig an.
Julien schob sich schützend vor sie. Lamars Blick gefiel ihm nicht – und auch nicht, dass er seine Entscheidungen infrage stellte.
„Du vertraust meinem Urteilsvermögen nicht? Du glaubst, ich mache einen Fehler? Schön, dann schicke mir Cruz und begleite du Louis. Denn ich sage
Weitere Kostenlose Bücher