Aus Notwehr! - Aus Notwehr! - For a House Made of Stone. Gina's Story
Junggesellengewohnheiten wieder aufzunehmen. Genauer gesagt wollte er jeden Abend außer Haus Musik machen und üben. Ich hatte nichts dagegen, denn ich freute mich für ihn über sein Hobby - und ich freute mich auch, Zeit zu haben, um mich Michael zu widmen. Ich hatte Unmengen eigene Freunde, die ich besuchen oder einladen konnte, wenn ich mich einsam fühlte, und ich hatte ja auch noch mein Dienstmädchen zur Unterhaltung. Ich lud auch meine Schwester Sonia ein, eine Weile bei uns zu bleiben - damit sie einen anderen Lebensstil ausprobieren konnte, als sie ihn von den Philippinen her kannte.
Obwohl Paul sich über Michaels Geburt gefreut hatte, schien ihm der Geduldsfaden immer schneller zu reißen, je größer und neugieriger sein Sohn wurde. Vielleicht war er ja zu lange Junggeselle gewesen und hatte zu festgefahrene Gewohnheiten, um sich an die Veränderungen, die ein Kind ganz unwillkürlich zu Hause und im Alltag mit sich bringt, anpassen zu können. Ein gesundes Kleinkind macht viel Lärm und lässt sich nicht einfach mit einem Fläschchen oder indem man es schlafen legt, zur Ruhe bringen. Michael war sehr aktiv und steckte seine Finger überall hinein, zum Beispiel in die Stereoanlage und in die Elektrogeräte. Ich musste ständig ein Auge auf ihn haben, und wenn ich einmal einen Moment abgelenkt war, war er auch schon wieder dabei, an etwas herumzufummeln. Paul verlor jeden Tag schneller die Geduld, und er schlug Michael viel zu fest, wenn ihm etwas missfiel; er hatte schon scheußliche rote Striemen. Es gibt keine Möglichkeit,
ein Kleinkind von seinem Vater fern zu halten, wenn sich die beiden gleichzeitig zu Hause aufhalten, und so lebte ich in zunehmender Angst vor Pauls Ausbrüchen und war froh, wenn er mit seinen Freunden unterwegs war.
Irgendwie gelang es Paul aber immer, sein Verhalten nach so einem Zwischenfall als gerechtfertigt hinzustellen. Er schaffte es prima, mir das Gefühl zu geben, dass alles meine Schuld war. Wenn er ganz offensichtlich zu weit gegangen war, entschuldigte er sich immer und versprach, dass dergleichen nie mehr vorkäme. Die meiste Zeit war unser Zusammenleben glücklich, und ich konnte es nicht über mich bringen, Michaels Familie zu zerstören, solange ich eine Chance sah, dass alles sich zum Besseren wenden würde.
Rückblickend ist mir klar, dass ich Michael sofort auf die Philippinen mitnehmen und mich hätte weigern sollen, je zu Paul zurückzukehren, aber damals stellte sich mir die Sache anders dar. Paul war meistens reizend, und wenn so ein Zwischenfall passierte, glaubte ich wirklich, es wäre sicher das letzte Mal, dass so etwas Schreckliches geschah. Wenn man ein Kind hat, ist es ein so enorm großer Schritt, eine Familie zu zerstören. Ich brachte es jedenfalls nicht über mich, vor allem weil ich ja bereits eine gescheiterte Ehe hinter mir hatte und man mir bereits ein Kind genommen hatte. Ich dachte, ich sei stark genug, um für mich selbst einzutreten und Michael zu beschützen. Ich glaubte, es würde alles besser werden, wenn Michael älter und einfacher zu beaufsichtigen wäre. Ich ließ mir hundert Argumente einfallen, weshalb wir mit Paul besser dran wären als ohne ihn.
Wenn Paul einen seiner Wutausbrüche hatte, konnte ich nicht einfach dastehen und zuschauen, wie er mein Kind
schlug, und begann heftig mit Paul zu streiten. Seine Wut verlagerte sich dann von Michael auf mich. Unsere Auseinandersetzungen endeten dann oft damit, dass er mich schlug oder an den Haaren aus dem Zimmer zerrte, weil er wollte, dass ich den Mund hielt. Ich hatte diese Seite seines Charakters nie kennen gelernt, als wir noch zu zweit waren, als nichts sein wohlgeordnetes, behagliches Dasein störte. Eines Nachts war er so auf der Palme, dass er mich packte und mit einer solchen Wucht quer durchs Zimmer aufs Bett schmiss, dass es unter mir zusammenbrach. Am nächsten Tag fragte mich das Dienstmädchen - sie hatte ihr Zimmer direkt unter dem unseren -, was das denn für ein Lärm gewesen sei.
»Ach«, sagte ich ausweichend, »ich bin bloß aus dem Bett gefallen.«
Ich wollte nie jemandem etwas von alldem sagen, damit niemand schlecht von Paul dachte. Er war mein Mann und der Vater meines Kindes. Alle sollten glauben, er sei der nette Bursche, den sie von Partys oder von der Arbeit her kannten. Zuzugeben, dass ich in meiner Ehe misshandelt wurde, wäre dem Eingeständnis meines Scheiterns gleichgekommen. Ich war wild entschlossen, die Sache alleine in den Griff zu
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