Aus purer Liebe?
klangen sie hart und töricht aus dem Mund ihres Vaters.
"Das mag sein", erwiderte er. "Aber, wie gesagt, haben wir das Thema nicht diskutiert."
Idris schaute ihn jetzt eindringlich an. "Du solltest unbedingt mit Raina darüber sprechen, und zwar bald. Wer weiß, meine Tochter wird dich vielleicht überraschen."
Was Dharr anging, so wusste er nur zu gut, wie unvorhersagbar Rainas Verhalten war. Sie hatte ihn in der kurzen Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, mehr als einmal überrascht. Es hatte allerdings nichts damit zu tun, dass sie beide den Ehevertrag ablehnten.
Er brachte es nicht fertig, dem kranken Sultan alle Hoffnung zu nehmen. "Ich werde darüber nachdenken."
Darauf machte der Sultan ein zufriedeneres Gesicht. "Richte den Familien des Brautpaars meine besten Wünsche aus, Dharr, und pass gut auf meine Tochter auf."
In diesem Moment öffnete sich die Tür, und eine sanfte Stimme fragte: "Hat jemand nach mir gerufen?"
Dharr sprang sofort auf. Er hatte gar nicht mit Raina gerechnet und war von ihrem Anblick überwältigt. Sie trug das zweiteilige türkisfarbene lange Kleid, wie Badya ihr geraten hatte. Ihr Haar war aus der Stirn gebürstet und auf dem Hinterkopf zu einem langen dicken Zopf geflochten, so dass ihr klassisch schönes Profil noch mehr zur Geltung kam.
"Papa, darfst du wirklich schon aufstehen?" fragte sie besorgt.
"Du siehst doch selbst, dass ich gut in diesem Sessel sitzen kann." Der Sultan brummte noch etwas Unverständliches.
"Wenn dein Arzt nichts dagegen hat, ist es ja okay."
Als er das ernste Gesicht seiner geliebten Tochter sah, wurde der Sultan versöhnlicher. "Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen, Raina. Der Arzt meint, dass ich mich ruhig schon ein wenig bewegen soll."
"Ich würde viel lieber hier bei dir bleiben, Papa, anstatt an diesen Feierlichkeiten teilzunehmen", gestand Raina.
"Oh nein, du solltest schon mit Dharr hingehen. Es ist mir ein Anliegen, dass du möglichst viele von den Bräuchen deiner Heimat kennen lernst", erklärte der Sultan und fügte lächelnd hinzu: "Du wirst Aufsehen erregen heute Abend, weil du so hübsch bist, Raina, ganz wie deine Mutter."
"Aber Mama ist blond und hat blaue Augen."
Der Sultan wandte sich an Dharr. "Ist sie nicht wunderschön, meine Tochter?"
"Oh ja, das finde ich auch", beeilte Dharr sich zu versichern. Für ihn war Raina die schönste Frau, die er sich vorstellen konnte. Aber das behielt er lieber für sich. "Ich fürchte, wir müssen gehen, sonst kommen wir zu spät."
Der Sultan entließ sie mit den Worten: "Geht nur, Kinder, und verschwendet keinen Gedanken mehr an mich. Ich werde fest schlafen, wenn ihr heute Nacht heimkehrt. Ich wünsche euch einen wunderbaren Abend zusammen."
Raina war beeindruckt, wie aufmerksam Dharr ihr aus der königlichen Limousine half, als sie am Rande des Stadtzentrums ausstiegen. Auch hier gab es moderne, mehrgeschossige Gebäude, aber zu Rainas Freude war der alte orientalische Charakter von Tomar erhalten geblieben. Für sie machte es den besonderen Reiz der Hauptstadt aus, in der sie aufgewachsen war.
Seit sie sich erinnern konnte, hatte es hier immer schon viele Touristen gegeben, die gerade wegen dieser unverfälschten arabischen Atmosphäre herkamen. Dharrs Vater und auch sein Großvater hatten das Land für jeden offen gehalten und immer großen Wert auf die friedliche Koexistenz der Religionen und Kulturen gelegt. Raina fragte sich nun, wie lange das bei der weltpolitischen Lage noch möglich war. Sie hoffte so, dass Azzril ein Ort des Friedens und der Begegnung blieb.
Dharr führte sie durch eine enge Gasse, bis sie zu einem kleinen Platz kamen, auf dem ein Feuer brannte. Darum herum saßen Männer in den traditionellen weißen Dishdashas, die turbanartigen Muzzars auf dem Kopf. Als sie Dharr bemerkten, sprangen sie auf und verbeugten sich tief vor ihm. Er nickte ihnen freundlich zu, hielt sich jedoch nicht lange auf, sondern ging mit Raina weiter ins Zentrum.
Auf dem Marktplatz hatte sich eine Menge festlich gekleideter Menschen versammelt. Als Dharr sich unter seine Untertanen mischte, fragte Raina sich, ob er die eine oder andere der jungen Frauen besser kannte. Dann sagte sie sich, dass es nicht sehr wahrscheinlich war, weil er sich in Azzril als zukünftiger König wohl keine Affären leisten konnte.
Dennoch ging ihr der Gedanke nicht aus dem Kopf, wie viele Freundinnen er wohl schon gehabt haben mochte. Da war vor allem diese Elizabeth, zu der er eine
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