Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
stranger. Und sie erscheint für alle Tatbeteiligten auf unterschiedliche Weise attraktiv, weil sie einerseits Bargeld mitführt (Röder/Fröhmelt) und andererseits verfügbar ist und als Frau eine geeignete Projektionsfläche für negative Gefühle darstellt (Wagner). Tatbegünstigend wird sich letztlich auch Birgit Lohmanns sozial entwertete Rolle als Prostituierte ausgewirkt haben, die Hemmschwelle, gerade ihr Gewalt anzutun und sie zu töten, dürfte in diesem Kontext leichter zu überwinden gewesen sein.
Gruppendynamik
Der Entschluss zur Tötung von Birgit Lohmann ist das Ergebnis einer durchaus kontroversen Diskussion. Helmut Wagner ist der Initiator und die treibende Kraft, Franz Röder und Klaus-Peter Fröhmelt wehren erst ab, wägen dann ab, schließlich stimmen sie zu. Höchstwahrscheinlich wäre diese Tat niemals passiert, hätte sie allein durchgeführt werden sollen. Helmut Wagner traut sich die Tat eben nur zu, wenn die anderen mitmachen. Andernfalls hätte er seine Freunde nicht darauf ansprechen müssen. Aber auch Franz Röder und Klaus-Peter Fröhmelt beteiligen sich nur deshalb, weil Helmut Wagner die Tötung eigenhändig vornehmen will. So wird die Verantwortung des Einzelnen für die gemeinsam beschlossene und beabsichtigte Grenzüberschreitung abgelegt auf der Ebene der Gruppenverantwortlichkeit (siehe auch schon Kapitel 1, »Böse aus Freude«).
Täterdisposition
Bei Franz Röder und Klaus-Peter Fröhmelt dürfte die materielle Fixierung, befeuert durch chronisch fehlende finanzielle Mittel, ausschlaggebend gewesen sein, bei der Ermordung von Birgit Lohmann mitzumachen. Für jemanden, der kaum etwas bzw. nichts von Wert besitzt, haben 100 bzw. 80 Euro eine nicht zu unterschätzende Relevanz. Hinzu kommt, dass Franz Röder und Klaus-Peter Fröhmelt jeden Respekt vor dem Hab und Gut anderer Menschen verloren haben und überzeugt sind, darauf zugreifen zu dürfen – von Berufs wegen.
Bei Helmut Wagner liegen die Dinge anders. Er befindet sich nicht nur im sozialen Abseits, sondern auch in einer emotionalen Ausnahmesituation, nachdem er die Beziehung zu seiner Freundin beendet hat. Er empfindet nur noch Hass für diese Frau, seine Seele ist verletzt. Helmut Wagner ist nicht in der Lage, dieser Frustration wirksam zu begegnen, sich abzureagieren, einen Ausgleich herzustellen. Und es ist sicher kein Zufall, dass er in den Tagen und Wochen nach der Trennung noch mehr Zeit vor dem Computer verbringt und unzählige Gegner eliminiert: klick, Treffer, tot.
Möglicherweise besteht hier ein Zusammenhang. Allerdings muss offenbleiben, ob es auch ein kausaler Zusammenhang gewesen ist, den es zwischen der virtuellen und der realen Gewalt gegeben hat, auch wenn der Verdacht naheliegt. Denn Helmut Wagner hat sich nur der Kripo gegenüber mit wenigen Worten zu seiner Mordlust bekannt, mit dem psychiatrischen Sachverständigen hat er darüber nicht mehr sprechen wollen.
Und noch ein Aspekt sollte uns in diesem Fall zu denken geben: Solange wir die Pathologie von Menschen wie Helmut Wagner nicht verstehen lernen, werden Verbrechen wie das an Birgit Lohmann wohl nicht zu verhindern sein.
Blutige Ausrufezeichen
Schlaganfall, Dachstuhlbrand, Todesfall, Wasserschaden, Badeunfall, Herzinfarkt, Glatteis, eine Ölspur auf der Straße. Mehr als 60000 Anrufe pro Jahr, etwa 200 Einsätze täglich. Die sogenannten Disponenten bei der Leitstelle der Feuerwehr werden bei ihrer Arbeit von fünf Monitoren unterstützt, ein elektronischer Stadtplan zeigt sogar den aktuellen Standort des Anrufers an. Alle einsatzrelevanten Informationen werden an Löschzüge, Rettungswagen und Notärzte, aber auch die Polizei per Datenleitung übermittelt. Wer hier seinen Beruf ausübt, muss gute Nerven haben, stressresistent sein.
Donnerstagabend, 21.31 Uhr
Das Signallicht leuchtet auf. Notruf. Der Beamte drückt sofort auf den Knopf, nimmt den Telefonhörer ab und stellt sich vor.
»Ich brauche dringend ein NEF. Hier ist überall Blut. Die Person ist reanimationspflichtig.« Der Anrufer hat zwar eine jugendliche Stimme, dafür drückt er sich aber erstaunlich präzise und professionell aus – er kennt sogar die üblichen Abkürzungen, denn NEF steht für Notarzteinsatzfahrzeug. Kein Zittern in der Stimme. Keine Verunsicherung. Wahrscheinlich steht der Hinweisgeber unter Schock.
»Wie heißen Sie, und wo befinden Sie sich jetzt?«
»Konstantin Färber. Konrad-Adenauer-Allee 126.«
»Bleiben Sie vor Ort, ich schicke einen
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