Aus reiner Notwehr
Quatsch, Nick. Natürlich hast du ihn nicht umgebracht.” Sie wartete, bis er sie anblickte. “Aber jemand war es. Und du und ich, wir beide haben gehört, wie Amber und Stephen reagierten. Beide waren aufs Äußerste verbittert. Also, statt sie blindlings zu verteidigen, sieh die Angelegenheit mal ein wenig objektiver, vor allem in Bezug auf die Gründe der beiden, ihn loszuwerden.”
Er hätte Pamelas Behauptungen und Vorwürfe am liebsten in Bausch und Bogen abgestritten, und das Bedürfnis danach drang ihm aus allen Poren. Das Schlimmste war, dass er insgeheim Gedanken gehegt hatte, die Pamela nun laut aussprach. Natürlich hatte sich sein kriminalistischer Instinkt sofort bei der Untersuchung des Tatorts gemeldet; er aber hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als diesen Instinkt schlichtweg zu leugnen. Dass es sich um Mord handelte, kam für ihn keineswegs überraschend.
Er blickte Pamela an. “Willst du denn völlig ignorieren, was ich dir vorhin erzählt habe? Dieser Russo führte ein Doppelleben, der steckte bis zum Hals in allen möglichen dubiosen Machenschaften.”
“Ich ignoriere das durchaus nicht. Ich werde es sicherlich dem Chief melden.”
“Und dennoch hältst du dich lieber an Amber und Stephen als Hauptverdächtige?”
“Ich halte mich in solchen Fällen stets an Fakten und Zahlen.”
“Du verfügst ja auch über einen umfangreichen Erfahrungsschatz”, befand er sarkastisch, auch wenn er ihr recht geben musste. Pamela verschränkte ihre Arme vor der Brust und schwieg, doch ihr Kinn hob sich unmerklich.
“Ich sehe, ich verschwende meine Zeit”, sagte er bissig, doch so sehr er sich auch sträubte – es gab nichts und niemanden, mit dem der Mord an Deke Russo in Verbindung gebracht werden konnte. Nicht einmal ein vages Gefühl, eine Intuition, eine Ahnung. Er kippte seinen Kaffee in die Spüle und schob seinen Stuhl wieder ordentlich an den Küchentisch zurück. An den Schwingtüren blieb er stehen und sah Pamela ein letztes Mal an. “Wir werden Chief Escavez beim Wort nehmen, Pamela. Erst nach der Beerdigung wird die Familie ihm zur Verfügung stehen.”
“Aha, die Familie!”, wiederholte sie mit leiser Stimme. “Zu der zählst du wohl auch?”
“Richte es ihm aus!”
“Gute Nacht, Nick.”
Ambers Wettervorhersage erwies sich als präzise: kein Wölkchen trübte den Himmel über New Orleans und dem Friedhof Lafayette an jenem heißen Augustmorgen, und die feuchte Schwüle machte die Hitze beinahe unerträglich. Dennoch hatte sich eine unübersehbare Trauergemeinde aus Neugierigen und Fans vor den schmiedeeisernen Gittern eingefunden, um dem Großmeister der Talkshow die letzte Ehre zu erweisen.
Victoria, blass und dem körperlichen Zusammenbruch nahe, blieb während der kurzen Trauerfeier in der voll klimatisierten Limousine. Leo stand ruhig und gefasst neben Amber und Stephen, aber Kate spürte, dass ihn nur die Aufbietung äußerster Willenskraft aufrecht hielt. An diesem dritten Tag nach Dekes Ableben schlug die nervliche Belastung mit voller Wucht auf alle durch, und die letzten Worte des Priesters nahm Kate mit großer Erleichterung entgegen.
Unauffällig verließ sie ihren Platz neben Leo, als die Trauergemeinde sich zu zerstreuen begann; einige Schritte entfernt stand eine alte Eiche, in deren Schatten sie warten wollte, bis Amber sich vom offenen Grab ihres Mannes zurückziehen konnte. Begräbnisse waren nun einmal keine amüsante Angelegenheit. Dekes Bestattung gehörte jedoch zu denen, die sie so schnell nicht vergessen würde. Die Menschen vor den Eingangstoren trugen Schilder und Spruchbänder oder sangen Lieder zu seinem Gedenken. Was in aller Welt waren das für Leute? Fans? Neugierige? Menschen mit morbiden Neigungen? Sie ließ sich auf einer eisernen Bank nieder und hoffte, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde. Es schien eine halbe Ewigkeit her, seit sie das letzte Mal einen Augenblick der Ruhe und der Einsamkeit genossen hatte.
Und es sollte wohl auch heute wieder nicht sein, denn sie saß kaum, als sie Chief Escavez in ihre Richtung kommen sah. Er hatte sich während der Trauerfeier, flankiert von Howard Sloan und Pamela LaRue, bewusst im Hintergrund gehalten, aber das schien er nun nicht länger für notwendig zu halten: Es ging wieder zur Sache. In Anbetracht des besonderen Anlasses trug er eine Westernjacke sowie eine dazu passende “Bolo Tie” – eine Kragenkordel nach Cowboymanier. “Kein schlechter Abgang, was, Doc?”, bemerkte er
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