Aus reiner Notwehr
am Kopf, Knie verdreht, Schlüsselbein gebrochen, lauter solche Sachen. Natürlich ist sie in der Dusche ausgerutscht, die Treppe runtergefallen oder hatte einen Autounfall. Ziemlicher Tollpatsch, Ihre Freundin Amber, was?” Sie blickte wieder zum Fenster hinüber. “Und Sie wollen nicht gemerkt haben, Kate, dass sie misshandelt wurde, dass hier Gewalttätigkeit in der Ehe vorlag?”
Kate strich sich die Haare aus dem Gesicht. Ihr Herz begann zu rasen. “Ich mag diesen Begriff ganz und gar nicht.”
“Wieso nicht? Welchen Ausdruck hätten Sie denn gern, wenn eine Frau dermaßen zugerichtet wird, und zwar vom eigenen Ehemann, der feierlich gelobt hat, sie zu lieben, zu halten, zu ehren, bis der Tod sie scheidet?”
Ganz ohne Vorwarnung wurde Kates Schädel plötzlich von tanzenden Irrlichtern erfüllt. Ein tosendes Brausen drang an ihr Ohr, irrwitzige Bildfetzen, grell wie Blitzlichter, leuchteten auf und verglühten. Sie presste die Augen fest zu, kämpfte verzweifelt gegen diese Horror-Clips an, aber sie hörten nicht auf, liefen ab wie von einer endlos surrenden Filmspule … Menschen … zwei, dann drei, vier, Schreie, Kämpfe, Schüsse, fast hätte sie laut aufgeschrien! Plötzlich Wasser, nichts als Wasser, kalte, dunkle Tiefe, in die sie zu stürzen drohte. Sie streckte verzweifelt die Hand aus und fuhr erschreckt zurück, als ihre Finger wirklich in Wasser tauchten.
“Kate? Ist Ihnen nicht gut?”
Der Gartenteich! Ein Goldfisch sprang und fiel klatschend zurück. Das Tosen in ihren Ohren verebbte, sie blinzelte verwirrt, verstört, musste sich orientieren, langsam, ganz langsam nahm Pamelas Gesicht Formen an.
“Meine Güte, Kate, ich dachte schon, Sie wollten den Fischen Gesellschaft leisten! Ist Ihnen schwindlig geworden? Das schien mir gerade so ähnlich wie neulich, als wir über meine Schwester sprachen; da sahen Sie genauso aus! Geht’s wieder?”
“Ja, ja. Pamela, Sie hatten recht mit dem Missbrauch in der Ehe. Ich weiß nicht, warum, aber bei dem Thema bekomme ich immer diese seltsamen Zustände. Es geht mir schrecklich an die Nieren. Amber hat es mir tatsächlich gesagt, aber sie meinte, sie habe es im Griff, Deke kenne seine Grenzen. Ich wollte es einfach nicht wahrhaben, kann es immer noch nicht glauben! Eine so kluge, so erfolgreiche Frau lässt sich doch nicht so behandeln!”
“Doch, doch, völlig unabhängig von sozialer Schicht oder Bildungsstand oder Einkommen. Klug oder dumm, reich oder arm, jung oder alt, völlig egal. Gewalt trifft sie alle.”
“Ich hätte etwas unternehmen sollen! Schließlich bin ich Ärztin, es hätte mir auffallen müssen.” Kate rang die Hände, und ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. “Aber ich war dermaßen schockiert, dass es ausgerechnet Amber traf!”
Pamela legte ihr mitfühlend die Hand auf den Arm. “Vielen geht es so wie Ihnen, Kate. Drangsalierte Ehefrauen sind ungeheuer erfinderisch, wenn die Wirklichkeit verschleiert werden muss. Sie lügen, was das Zeug hält, sie lassen sich alle möglichen Ausreden, Erklärungen und Ausflüchte einfallen, damit ja niemand merkt, was hinter verschlossenen Türen geschieht. Da laufen oft die unglaublichsten Versteckspiele ab! Außerdem wären Sie höchstwahrscheinlich mit der Zeit draufgekommen und eingeschritten. Sie sind doch erst einen Monat hier.”
Kate war immer noch untröstlich. “Die Beweise lagen direkt vor meiner Nase, aber ich habe sie einfach verdrängt, mich innerlich geweigert, sie zur Kenntnis zu nehmen, weil sie Amber betrafen!”
Beide blieben einige Zeit stumm sitzen. Mit Mühe gelang es Kate, die seelische Balance zurückzugewinnen. Die junge Polizistin blickte hinüber zu dem großen, von keinem Vorhang verdeckten Fenster, hinter dessen Scheibe offenbar eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen Escavez und Amber im Gange war. “Ich war bei der Fais-Do-Do-Show”, sagte sie unvermittelt, “und mir schien, dass zwischen den beiden richtig der Funke übersprang, so gut waren sie. Das Publikum lag Amber zu Füßen. Sie stahl ihm fast die Show. Allerdings machte Deke Russo auf mich nicht den Eindruck von jemandem, der sich mit der zweiten Geige zufriedengibt.”
Kate wischte sich verstohlen die Augen; zu ihrer eigenen Überraschung merkte sie, sie musste wohl geweint haben. “Ja, ich weiß. Aber schließlich hat er selbst das Drehbuch geschrieben, war verantwortlich für die Dramaturgie der Show.”
“Tatsächlich? Nun, jedenfalls habe ich zufällig mit einigen
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