Aus reiner Notwehr
fuhr er in seiner Berichterstattung fort. “Zuvor hatten Spekulationen über eine angebliche Mittäterschaft von Mrs. Russo an dem Tötungsdelikt an ihrem Ehegatten zirkuliert. Erst heute Morgen wurde sie von den ermittelnden Beamten eingehend vernommen. Mittlerweile hat der Fall jedoch eine überraschende Wendung genommen. Chief Escavez, der Leiter der hiesigen Polizei, teilte vor Kurzem mit, dass Mrs. Victoria Madison, eine enge Bekannte der Familie Russo, den Mord gestanden habe. Damit aber noch nicht genug der dramatischen Ereignisse, die sich am heutigen Tage hier abspielten. Wie wir gerade erfahren haben, ist Mrs. Madison vor zwanzig Minuten im Hospital verschieden. Nach Aussage eines Sprechers der Krankenhausleitung erlag sie einem Krebsleiden. Ihr Nachbar, Mr. Leo Castille, der Vater von Mrs. Amber Russo, deren Taufpatin sie war, blieb bis zuletzt an ihrer Seite. Mrs. Madison verstarb friedlich just in dem Moment, als Stephen und Amber Russo nach Beendigung des Geiseldramas gemeinsam das Haus verließen.”
EPILOG
“S am, wach auf! Schnell! Guck mal!”
Sam brummte etwas Unverständliches und kuschelte sich enger an Kate, die ihr Buch beiseitelegte, die Fernbedienung für den Fernseher vom Nachttisch nahm und den Ton lauter stellte. Ungläubig starrte sie auf den Bildschirm, auf dem Amber Russo von einem über das ganze Gesicht grinsenden Jay Leno begrüßt und zu einem Sessel geleitet wurde, von dem aus sie unbefangen Millionen von Zuschauern zulächelte, die um diese Zeit noch Amerikas sogenannte Late Shows sahen.
Kate fasste Sams Arm, den er ihr quer über den Leib gebreitet hatte, und rüttelte ihn. “Nun wach doch mal auf, Mensch! Das glaubst du einfach nicht!”
Er hob das Gesicht einen Zentimeter aus den Kissen und blinzelte aus einem Auge. “Ist etwa schon Morgen?”
Sie lachte leise und gab ihm einen Kuss aufs Ohr. “Nein, aber das hier musst du dir unbedingt ansehen. Eine Talkshow zum Thema ‘Gehobene Lebensart’!” Fasziniert, gebannt starrte sie auf die Mattscheibe und schüttelte in maßloser Verwunderung den Kopf.
Sam ächzte und versenkte das Gesicht wieder in die Federn. “Darf ich dich höflichst darauf aufmerksam machen, dass ich eine 18-Stunden-Schicht hinter mir habe?”
Statt einer Antwort rüttelte sie ihn erneut an der Schulter. “Amber tritt im Fernsehen auf! In der ‘Tonight Show’!”
“Wie bitte? In der ‘Tonight Show’?” Benommen äugte er auf den Bildschirm.
“Sei doch mal still! Sie reden über ihre neue Sendung!”
“Was denn für eine neue Sendung?” Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht und stütze sich auf die Ellbogen auf.
Jay Leno, der Moderator der Sendung, überhäufte Amber mit Fragen zu ihrer neuen Show “Ambrosia”, die täglich von Los Angeles ausgestrahlt werden sollte, direkt im Anschluss an die Talkshow von Oprah Winfrey. Amber hatte ihr liebenswürdigstes Lächeln aufgelegt und erläuterte ihrem Gastgeber die Zielsetzung der Sendung, die sich in erster Linie mit typischen femininen und feministischen Aspekten befassen würde. Die Frauen von heute benötigten vor allem in einer Hinsicht Beratung: Wie konnte man einen gehobenen, gepflegten, eleganten Lebensstil in Einklang bringen mit der gleichzeitigen Bewältigung von Heim, Familie und Beruf? Dabei sollte “Ambrosia” eine herausragende Stellung einnehmen. Amber beabsichtigte, jede Folge einem charakteristischen Problem zu widmen, mit dem sich die Frauen heutzutage konfrontiert sahen, beispielsweise Kinderbetreuung, Ehe, Scheidung, Wiederverheiratung, Ehen mit Partnern, welche ihrerseits Kinder mit in die neue Verbindung einbrachten und für die sie den Begriff “Mischfamilie” benutzte, dazu Gewalt in der Ehe, um nur einige zu nennen.
“Oh nein, Amber …”, murmelte Kate und legte die Finger über die Lippen.
“Ach, mein Gott, warum nicht?”, beschwichtigte Sam und lachte kurz auf. “Sie ist doch Expertin auf allen relevanten Gebieten. Und dem Begriff ‘Mischfamilie’ verleiht sie eine völlig neue Bedeutung.”
Kate schüttelte den Kopf. “Wenn sie das Thema in einer Sendung behandelt, wird sie wohl kaum erwähnen, dass ihr Stiefsohn durch ihre stiefmütterliche Fürsorge in der Psychiatrie gelandet ist.”
Sam zog Kate an sich, und gemeinsam lehnten sie sich zurück, um sich den Rest des Programms anzusehen. Zwei Jahre lag Stephens Verzweiflungstat, die allen noch in allzu schmerzlicher Erinnerung war, nunmehr zurück, und vor ihrem geistigen Auge sah Kate
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