Aus reiner Notwehr
Kranich von der dunklen Oberfläche eines Bayous empor. “Amber und ich, wir wunderten uns immer, warum sie nicht geheiratet haben. Es sieht doch ein Blinder, wie sehr sie sich mögen, und sie versuchen auch seit ihrer Krankheit nicht mehr, es zu verheimlichen. Aber Mutter gab am Abend des Herzinfarktes merkwürdige Dinge von sich, dass sie ihm immer nur eine Last gewesen und seiner Liebe nicht würdig sei. Möchte wissen, was dahintersteckt!”
Er drosselte das Tempo, als sie sich einer Nebenstraße näherten, legte dann den rechten Arm über ihre Sitzlehne und ließ seine Hand unter ihr Haar gleiten. “Sag mal, Kate, können wir uns nicht einen Abend zusammensetzen und ein sachliches Gespräch führen?”
Sie schloss die Augen und genoss die Zärtlichkeit seiner Berührung. “Das hier betrachte ich beispielsweise nicht als sachliches Gespräch, aber gut, wenn du darauf bestehst …” Irgendetwas an der Landschaft fiel ihr auf, und sie beugte sich verwundert vor. “Du! Weißt du, wo wir hier sind?”
Er lachte leise in sich hinein. “Wenn ich es nicht weiß, müssen wir uns verfahren haben.”
“Im Ernst! Diese Straße führt zu unserem Wochenendhaus am Bayou. Gleich hinter der nächsten Kurve musst du abbiegen.”
“Ach! Was du nicht sagst!”
Sie sah ihn argwöhnisch an. “Sam, ist das etwa … Oh nein, kommt nicht in Frage! Warum solltest du … Okay, ich habe lange Geduld gehabt – jetzt aber wirklich zum aller… allerletzten Mal: Wo fahren wir hin?”
“Zu eurem Wochenendhaus.”
“Wirklich?” Sie war ehrlich entzückt.
“Ja, wie könnte ich dich denn belügen?” Er bog in eine schmale, mit weißen Muscheln bestreute Allee ein, und im Nu wich die glühende Augusthitze einem schattigen Baldachin aus üppiger, subtropischer Vegetation, wie sie für diesen Teil Louisianas typisch war.
“So, da wären wir.” Er hielt vor dem im rustikalen Acadia-Stil auf soliden Pfählen errichteten Holzhaus, stieg aus und half ihr aus dem Wagen. “Klimaanlage läuft seit gestern, angenehme Temperatur, Kühlschrank voll, Mikrowelle bereit, Wein gekühlt.”
“Oh, Sam!” Sie legte die Hand aufs Herz.
Grinsend drängte er sie sanft zu der steilen Stiege, die hinauf auf die weiträumige Veranda führte. “Ich wollte dich beeindrucken. Hoffentlich ist es mir gelungen!” Er suchte den passenden Schlüssel aus einem Bündel und entriegelte nach einigen Anläufen die Tür. “Victoria sagte, man muss ein bisschen fummeln, bis der Schlüssel sich drehen lässt.”
“Was – meine Mutter ist informiert?”
“Du wirst es nicht glauben, aber der Vorschlag kam von ihr. Als ich ihr gegenüber erwähnte, dass ich gern mit dir übers Wochenende irgendwo hinfahren möchte, fiel ihr das Blockhaus ein.” Er hielt ihr die Tür auf, gab ihr einen Kuss auf die Wange und ließ sie eintreten, und sie blickte in freudigem Erstaunen um sich. “Mensch, Sam, ich wusste gar nicht mehr, wie schön es hier ist!”
Während er eine Flasche Weißwein entkorkte, nahm Kate das Haus in Augenschein. Baguettes lugten aus einem Korb in der Küche, in der Mitte der Arbeitsinsel prangte eine große Schale mit Obst, und ein Wildblumenstrauß zierte das Tischchen in der Frühstücksnische am Fenster, von dem aus der Blick weit über das Bayou schweifte. “Wem haben wir denn das alles zu verdanken?”, fragte sie und berührte zart eine Wildiris.
“Rose. Victoria hat sie heute früh schon hergeschickt.”
“Ehrlich?” Behutsam drehte Kate sich um die eigene Achse. “Dass ich bloß nicht vergesse, ihr Dankeschön zu sagen!” Sie war gerührt, dass ihre Mutter bei all der Sorge um Leo dennoch so viel Zeit für sie übrig hatte.
Sam schenkte den Wein ein. “Siehst du eigentlich nicht, dass deine Mutter dein größter Fan ist?”
“Langsam begreife ich es, Sam.” Sie setzte sich mit ihrem Weinglas an die Hausbar und sah zu, wie er die Kerzen anzündete, die an strategischen Stellen in der Küche und dem großen Wohnraum platziert waren. Danach entnahm er dem Kühlschrank einen Teller mit hors d’œvres, stellte ihn vor sie hin und setzte sich neben sie. “Was machen wir jetzt? Lassen wir uns auf der Veranda nieder und betrachten das Bayou? Wie wär’s mit einer Partie Schach nach einem schönen, langen Bad? Oder sollen wir zusammen ins Bett gehen?”
Sie setzte bedächtig ihr Glas ab. “Ist das Sinn und Zweck dieser ganzen Geschichte? Dass wir miteinander schlafen?”
Er sah sie lange an. “Wenn meine Antwort ja
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