Aus reiner Notwehr
Schussunfall behandelte, erzählte er mir, dass Stephen ihm wohl anvertraut habe, er würde seinen Alten am liebsten umlegen. Er muss sich schrecklich aufgeregt haben über etwas, das in jener Nacht zwischen Amber und Deke passiert ist.”
“Gütiger Himmel!” Kate neigte den Kopf und massierte ihre Stirn. “Das alles kommt einem Albtraum gleich, Sam. Dieser Deke hat den beiden das Leben zur Hölle gemacht. Jetzt ist er tot, und trotzdem geht es unvermindert weiter. Aber dass einer von den beiden einen Mord begeht – nein, das kann ich mir nicht vorstellen.”
Sam schickte sich an, sie zu trösten, doch in diesem Augenblick ging die Tür auf, und Diane Crawford erschien, um ihm seine Termine mitzuteilen, und er ließ sich diese Gelegenheit nicht entgehen. “Diane, ich wollte dich gerade ausrufen lassen.” Er bat sie herein. “Ich muss mit dir sprechen.” Die Hand bereits auf der Türklinke, sah er Kate fragend an. “Kate, möchtest du dabei sein?”
“Oh nein!” Sie rauschte an der Arzthelferin vorbei, und für einen Sekundenbruchteil begegnete sie Sams Blick. Wäre da nicht die Abgebrühtheit gewesen, mit der die Crawford das kindliche Vertrauen eines jungen Mädchens ausgenutzt hatte – man hätte fast Mitleid mit ihr verspüren können. Doch so verließ sie wortlos Sams Zimmer und schloss sacht die Tür.
“Stephen! Schläfst du?!”
“Amber?” Stephen rieb sich über das Gesicht, blinzelte verwirrt und sah hinüber zu den grünen Leuchtdioden der Digitaluhr an seinem Fernsehgerät. “Was ist?”, fragte er und rückte in seinem Bett zur Seite, als sie in sein Zimmer schlüpfte.
“Ich wollte bloß rasch nach dir sehen”, flüsterte sie und setzte sich auf die Bettkante. “Bin gerade aus dem Krankenhaus zurück. Opa Leo geht es den Umständen entsprechend gut, er erholt sich erstaunlich schnell. Morgen wollen sie nachsehen, ob sein Herz großen Schaden genommen hat, aber die Gefahr ist eher gering.”
“Das ist prima!” Der Junge winkelte die Beine an und stütze die Ellbogen auf die Knie. Er fand es toll, wenn Amber noch spät am Abend oder in der Nacht bei ihm hereinschaute; das hatte sie früher oft getan. Sie hielt seinen Arm fest, als er das Licht einschalten wollte. “Nicht. Ich bleibe nicht lange.”
“Okay”. Er kaute nervös auf der Innenseite seiner Wange herum, während er sie betrachtete. Mondlicht fiel durch sein Fenster, stark genug, ihre wilden schwarzen Locken mit einem Silberhauch zu überziehen, ihr betörender Duft erfüllte den Raum, dunkel, erotisch, ganz anders, als Mallorys Veilchenzeugs. Hoffentlich schaute sein Alter, das Arschloch, gerade eifersüchtig aus den Tiefen der Hölle zu! “Alles in Ordnung mit dir, Amber? Wegen Deke, meine ich!”
“Ja. Mit dir auch?”
“Mir geht’s hervorragend.” War natürlich geflunkert, aber egal! Manchmal litt er schon unter der Einsamkeit, er hatte ja sonst keinen Verwandten mehr auf der Welt, war nun waschechter Vollwaise. Doch das war er auch gewesen, als sein Alter noch lebte, zumindest in den Dingen, wo es darauf ankam. Insofern hatte sich nicht viel geändert.
Amber strich die Bettdecke über seinen Knien glatt. “Und was hast du heute Abend gemacht? Warst du bei Cody?”
Er wandte seinen Blick ab und sah hinüber zum Fenster. Seine Antwort würde sie verletzen, das wusste er. “Ich verbringe nicht so viel Zeit mit Cody wie du mit seinem Alten.”
“Stephen, Nick ist mein Anwalt, mein Verteidiger! Ohne ihn und seinen juristischen Beistand könnte ich diesen ständigen Druck nicht ertragen.”
“Ach, wenn schon!” Und ehe er recht begriff, was er von sich gab, war es heraus: “Gehst du mit ihm ins Bett?”
“Stephen! Er ist mein Anwalt! Sonst nichts!” Sie zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und sprach durch einen Rauchschleier. “Ich hatte heute ein Gespräch mit Detective Sloan.”
“Ach, dieser Polizistenclown, dieser Barney-Fife-Verschnitt! Was wollte der denn?”
“Stell dir vor, er kam ins Krankenhaus.” Sie sah den sich kräuselnden Rauchfahnen nach. “Trotz der zahlreichen mysteriösen Dinge in Dekes Leben konzentrieren sie offensichtlich ihre Ermittlungen auf jemanden hier aus Bayou Blanc.”
“Sieht dem Witzbold ähnlich.” Stephen legte die Arme um die Knie und zog die Beine bis unters Kinn.
Amber saugte an ihrer Zigarette und streifte die Asche in eine leere Getränkedose. “Das Problem ist nur, der Mord geschah mitten in der Nacht, und es wird verdammt
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