Aus reiner Notwehr
Bereich des gemütlichen Landhauses, das im Acadia-Stil der frühen Louisiana-Franzosen erbaut war. Amber dirigierte sie zu einem Barhocker und öffnete den Kühlschrank. “Du möchtest sicher etwas Kaltes. Wir haben eine Bullenhitze draußen, aber das hast du wohl gemerkt, als du aus dem Flieger gestiegen bist, was?”
“Wie geht’s dir, Amber?”
Amber zeigte ein strahlendes Lächeln und nahm einen Krug aus dem Kühlschrank. “Mir geht’s ausgezeichnet. Super, dass du dich zu einem Besuch durchgerungen hast. Viel Zeit hast du uns nicht gelassen. Wie bist du hergekommen? Victoria hat schon nachgeschaut, wann die Flugzeuge ankommen. Hast du einen Mietwagen genommen? Das wäre nicht nötig gewesen, Kate. Du bist immer so unabhängig!”
“Ich habe kein Auto gemietet. Ich habe selbst eins. Und geflogen bin ich auch nicht – ich bin gefahren. Aber da wir gerade von meiner Mutter sprechen: Wo steckt sie eigentlich?”
“Gefahren?” Amber staunte. “Die ganze Strecke von Boston herunter?”
“Ist ‘ne lange Geschichte. Also, weißt du, wo Mutter ist?”
“Na, sie wird bei Dad sein, schätze ich”, sagte Amber mit einer achtlosen Handbewegung. “Irgendwo werden sie wohl stecken. Aber gefahren! Das ist ja ein Ding! Meine Güte, das sind … Augenblick mal … zweitausend Meilen! Was soll das heißen, eine lange Geschichte? Und sag bloß nicht, du musst schon wieder nach Boston zurück, bevor ich eine Begrüßungsfeier auf die Beine stellen kann!”
Kate hob abwehrend beide Hände. “Bitte, bloß keine Partys! Jedenfalls vorerst nicht, einverstanden, Amber? Und im Übrigen, wir haben Zeit genug. Ich habe es nicht besonders eilig mit der Rückreise.”
“Tatsächlich?” Amber hielt beim Eingießen inne. “Wie hast du das denn hingekriegt? Ich dachte immer, ihr Notaufnahmeärzte hättet ständig einen furchtbar hektischen Dienstplan und praktisch keine Freizeit.”
“Sogar wir aus der Notaufnahme müssen ab und zu Pause machen und uns neu organisieren. Ehrlich, als ich an der Ausfahrt zum Cottage vorbeifuhr, fiel mir auf, wie lange wir dort nicht gewesen sind.” Ihre und Ambers Familie besaßen gemeinsam ein kleines Landhaus am Nordufer von Lake Pontchartrain. In ihren Kindertagen hatten sie manches Sommerwochenende und meist die Ferien dort verbracht. Sogar als sie beide verheiratet waren, hatten sie es geschafft, einmal im Jahr ein paar Tage dort zusammen zu sein. Diese schönen Erinnerungen waren Kate eingefallen, als sie auf der Interstate die Abfahrt passiert hatte. “Wie lange ist das her, Amber?” Kate konnte sich nicht erinnern.
Amber verzierte ein Glas Eistee mit einem Minzezweig und schob es Kate über die Theke zu. “Drei Jahre.”
“Meine Güte! Zwei Jahre zu viel, was?”
“Seit ich mit Deke verheiratet bin, fällt es mir nicht leicht, private Termine einzuplanen”, sagte Amber, und ihre Stimme klang anders. “Mit Ethan war das nicht so, den kümmerte es nicht, was ich machte, solange ich ihm nicht mit seinen Bankgeschäften in die Quere kam.”
“Du wusstest genau, was er war, als du ihn geheiratet hast, Amber.”
Amber zog eine Grimasse und träufelte Süßstoff in ihren Tee. “Reich und noch zu haben, das war’s, was ich wusste. Dass er so ein Langweiler war, wusste ich nicht.”
Kate schüttelte lächelnd den Kopf. “Er war zweiundfünfzig, und du warst zweiundzwanzig!”
“Das ist doch keine Entschuldigung! Ethan hat nie eine Ahnung gehabt, was Spaß ist, nicht mal, als er jung war!”
“Dir war doch klar, er ist einer von denen, die erst das Business sehen.”
Amber seufzte. “Ich weiß, ich weiß. Ich war eine ‘Vorzeigefrau’, bevor der Begriff erfunden wurde.” Sie kicherte. “Ich bin nur froh, dass wir keinen Ehevertrag geschlossen haben. Ich war so jung und blöd, ich hätte ihn wahrscheinlich unterschrieben, und nach der Scheidung hätte ich da in die Röhre geschaut und nicht die Hälfte von allem bekommen.” Sie murrte ungeduldig. “Ach, genug von Ethan! Mensch, das ist über fünfzehn Jahre her!”
“Für uns beide ist seitdem eine Menge Wasser den Mississippi hinuntergeflossen, was?”, sagte Kate leise.
Amber berührte ihre Hand. “Ich hab’s bedauert, als ich zuletzt von deiner Scheidung hörte, Kate. Hat es dir das Herz gebrochen?”
“Ach, eigentlich nicht. Was einiges über meinen Charakter aussagt, aber ich weiß nicht recht, was.”
“Oh, du warst immer so streng mit dir. Und außerdem habe ich Robert nie besonders gemocht.
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