Aus reiner Notwehr
hörst du? Du willst doch Deke und mich auf der Bühne sehen, oder?”
“Wenn das Mädchen vom Ort heimkommt? Das kann ich doch unmöglich verpassen!” Kate lächelte und winkte zum Abschied. “Danke für die Unterhaltung und den Eistee.”
“Bis dann, Kate.”
In Gedanken versunken schlenderte Kate über Leos Rasen. Sie hatte sich darauf gefreut, das Neueste von Amber zu erfahren, aber nicht erwartet, dass es Eheprobleme gab. Oder hatte sie mehr in Ambers Geplauder hereininterpretiert, als sie sollte? Amber neigte zum Dramatisieren, und das erinnerte Kate an die Andeutungen bezüglich Victoria. Wo steckte sie nur? Sie wollte mit eigenen Augen sehen, dass alles in Ordnung war.
Als sie die schmale Holzbrücke überquerte, die Leo eigenhändig vor Jahren gezimmert hatte, erkannte sie die Umrisse ihres Elternhauses. Aber es gab keine Anzeichen, dass ihre Mutter daheim war. Kates Besorgnis kehrte zurück.
“War das nicht Kate, die da eben über den Rasen geflitzt ist?” Deke Russo nahm seine Sonnenbrille ab und steckte sie in die Brusttasche. “Was ist denn mit der los? Mag sie nur die eine Hälfte des Russo-Teams?”
Amber setzte ein Lächeln auf und trat von der Tür zurück, als ihr Mann hereinkam. “Sie war nicht auf Besuch. Sie suchte Victoria. Du glaubst es nicht, Deke: Sie ist den ganzen Weg von Boston hinunter mit dem Auto gekommen!”
“Allein?”
“Ja, allein. Glaube ich zumindest.” Sie zupfte eine welke Blüte aus einem Strauß Gladiolen in einer hohen Vase im Foyer, rückte die Blumen zurecht, trat etwas zurück und begutachtete das Arrangement. “Sagen wir so: Sie hat nicht erwähnt, dass jemand sie begleitet hat. Und noch etwas errätst du nie: Sie fährt auch nicht gleich wieder zurück!”
“Ach nee!” Er lockert seine Krawatte, knöpfte den obersten Knopf seines Hemdes auf und ging Richtung Hausbar. “Sie plant einen längeren Aufenthalt in Bayou Blanc, nachdem sie zwei Jahre lang nicht einmal übers Wochenende kommen konnte?”
“Ich gebe nur wieder, was sie gesagt hat.”
“Na, wenn’s so ist, gibt’s ja nichts hinzuzufügen, oder?”
Durch das Fenster konnte Amber hinter den Bäumen einen Teil des Daches von Victorias Haus erkennen. “Sie macht sich Sorgen um Victoria.”
“Wird auch Zeit.” Deke griff sich eine Karaffe mit Scotch. “Sie hat Glück gehabt, dass du zur Verfügung standest, wenn Victoria mal Zuwendung brauchte.”
Amber hörte die Abneigung aus seiner Stimme heraus und seufzte. Deke war so besitzergreifend. Manchmal hatte sie das Gefühl, er wäre nur dann zufrieden, wenn es überhaupt niemanden in ihrem Leben gäbe, nicht einmal ihren Vater. Sie stellte sich neben ihn und füllte Eiswürfel in ein Glas.
“Deke, Kate wohnt in Boston, ich dagegen lebe hier in New Orleans, gerade mal fünfundvierzig Minuten von Bayou Blanc entfernt. Und Victorias Haus steht gleich neben Daddys. Da ist es doch selbstverständlich, dass ich nach ihr sehe. Sie war wie eine Mutter zu mir seit meinem sechsten Lebensjahr.”
“Sag ich ja, Amber.” Er zog den Stöpsel aus der Karaffe, roch am Inhalt und goss sich einen ordentlichen Whisky ein. “Du hast immer schon mehr an Victorias Schürzenzipfeln gehangen als Kate selbst.”
Amber schaute zu den Familienfotos auf dem Klavier in der Ecke. Victoria war auf mehreren der Bilder zu sehen. “So nahe bin ich ihr auch wieder nicht, Deke.” Er brummte hinter ihr abfällig. “Und selbst wenn ich es wäre – wie würdest du dich fühlen, wenn du mit sechs Jahren deine Mutter verloren hättest?”
“Ach, du Arme!” Er stupste ihr in gespieltem Mitleid die Faust unters Kinn und begab sich zu einem riesigen Ruhesessel. “Du hattest alles, als du klein warst, Amber: Geld, Familie, ein tolles Haus in der besten Wohngegend. Dein Dad hat dich nach Strich und Faden verwöhnt. Stell dir vor, du wüsstest nicht mal, wer dein Vater ist!”
“Was redest du da, Deke? Dein Vater war Polizist!”
“Das habe ich auch immer geglaubt, aber, weiß der Himmel, Frauen lügen schon mal.”
“Deine eigene Mutter? Jetzt mach aber einen Punkt!” Offensichtlich geriet er in eine seiner Launen. Nach Beendigung seiner Sendung war er mit ihr und Stephen zum jenseitigen Ufer von Lake Pontchartrain gefahren, und danach hatte er einen “Termin” gehabt. Was immer das auch gewesen sein mochte: Es konnte nicht allzu gut gelaufen sein.
Amber holte unter der Theke einen Untersetzer hervor und stellte Dekes Glas darauf. Sie pflegte ihn ständig
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