Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Anwesenheit anzuzeigen, während der Nachtwächter herbeieilte, um einen Hausbewohner einzulassen, der seinen Schlüssel nicht bei sich hatte, oder eine Haustür abzuschließen, bei der das offenbar vergessen worden war. Zu jener Zeit sah die Kopfbedeckung der Stadtpolizisten wie ein Tropenhelm aus, die Postboten trugen eine Tellermütze, und die Müllmänner kündigten ihr Kommen mit einem Trompetenstoß an.
Da auf den Straßen so gut wie keine Autos fuhren, wurde dort Fußball gespielt, wobei der »Ball« mitunter aus straff mit Bindfaden umschnürten, zusammengeknüllten Papier bestand. Am späten Nachmittag und frühen Abend ertönten aus den Fenstern derer, die ein Radio besaßen, Hörspielserien oder Sendungen mit Schönheitstipps und Ratschlägen, wie Frauen es erreichen konnten, jünger auszusehen. Andere Sendungen mahnten von ihren Männern betrogene Frauen zur Duldsamkeit. Auch wenn in jener gemütlich wirkenden Welt so gut wie nie etwas Besonderes geschah, hörte man gelegentlich, dass Francos Leute wieder einmal republikanisch gesinnte Nachbarn am Kastell Campo de la Bota füsiliert hatten, während es von anderen hieß, sie seien in den Widerstand gegangen. Um die wenigen, die als »Maquis« in den Bergen versteckt gegen das Regime kämpften, ranken sich in der Erinnerung des Volkes wilde Legenden. In jenem trübseligen Universum voller Not und Geldsorgen, in dem im Winter ein Kohlenbecken unter einem runden Tisch im Esszimmer schon als Komfort galt, kam der spätere Sänger als Sohn des Josep Carreras Soler, eines der vielen Katalanen, die den Krieg gegen Franco verloren hatten, und der Antònia Coll Saigi zur Welt, einer jungen Frau, die sich mit aller Energie bemühte, in einer Stadt voll Trauer glücklich zu werden. Immerhin war es dem Vater gelungen, wohlbehalten aus dem Bürgerkrieg zurückzukehren, der eine Million Menschen das Leben gekostet hatte. Er hatte bei Jaén und später bei Valladolid an der Front gestanden, wo er zum Unteroffizier befördert wurde. Zwar war er mit dem Leben davongekommen, fand aber nach seiner Rückkehr keine Arbeit in seinem Beruf. Er war Lehrer, und die Franco-Diktatur dachte nicht daran zuzulassen, dass jemand, der auf der Seite der Republik gekämpft hatte, unterrichtete. So konnte die Rückkehr
nicht schlimmer sein, und nur den Beziehungen seines in der Stadtverwaltung tätigen Schwiegervaters hatte er es zu verdanken, dass man ihm eine Anstellung bei der Stadtpolizei gab, sodass er zumindest die Möglichkeit hatte, ein wenig Geld nach Hause zu bringen.
Meine Eltern haben sich beim Schlendern auf den Ramblas kennengelernt und vier Jahre später, im Februar 1937, sieben Monate nach Ausbruch des Bürgerkriegs, geheiratet. Am Ende des Jahres ist mein älterer Bruder Albert zur Welt gekommen. Meine Mutter stammt aus dem Stadtteil Sants und hatte Friseurin gelernt, während mein Vater aus seinem Geburtsort Cassà de la Selva in der Provinz Gerona nach Barcelona gegangen war, um sich dort für das Lehramt ausbilden zu lassen. Man hat ihn eingezogen, obwohl er verheiratet und ein Kind unterwegs war. Er pflegte zu sagen, dass er im Krieg viel Glück hatte, weil er höchstens ein paar Schüsse abgeben musste und sich nicht vorzuwerfen brauchte, jemanden getötet zu haben. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg hat ihn der Inhaber der Privatschule Durán, an der er Französisch unterrichtet hatte, nicht wieder eingestellt mit der Begründung, er habe gegen die im Krieg siegreichen Franco-Truppen gekämpft. Das hat ihn nicht nur finanziell, sondern auch moralisch tief getroffen. Da brandmarkte man ihn, weil er sich für die Republik eingesetzt hatte, die damals rechtmäßige Regierung des Landes, und verweigerte ihm die Möglichkeit, weiter seinem Beruf nachzugehen. Überall traf er auf verschlossene Türen. Mein Großvater Salvador war städtischer Beamter und nutzte seine Beziehungen zu einem einflussreichen Bekannten, der dafür sorgte, dass man meinen Vater bei der Stadtpolizei einstellte. So kam es, dass er nach Ende des Krieges den Lehrerkittel mit der Uniform eines städtischen Polizeibeamten vertauschte. Das schmerzte ihn zutiefst, denn er fühlte sich zum Lehrer berufen und hat sein Leben lang davon geträumt, künftige Generationen unterrichten zu können. Meine Mutter beschloss, im zur Straße gelegenen Teil unseres Hauses einen Friseursalon einzurichten. Die schwierigen Zeiten
wollten es, dass man meinem Vater, als ich etwa eineinhalb Jahre alt war, wegen seiner
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