Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
Einfälle lachen, sie mit Beifall und Bonbons belohnen. Allerdings vermute ich, dass all das nur deshalb in meiner Erinnerung lebendig ist, weil meine Eltern mir davon erzählt haben.
Sein zu jener Zeit vierzehn Jahre alter Bruder Albert hat jenes Abenteuer der Familie, den verzweifelten Versuch, sich eine Zukunft aufzubauen, nahezu fotografisch im Gedächtnis. Auch wenn er wie alle anderen in der Familie durch die Briefe des Onkels Pepito wahre Wunderdinge über das Leben in Buenos Aires erfahren hatte, hätte er nicht geglaubt, dass sein Vater die Fahrt über den Atlantik antreten würde. Die Mutter hatte ihn nicht entmutigt, sondern im Gegenteil dazu ermuntert, den Versuch zu wagen. Onkel Pepito hatte alles als ganz einfach hingestellt. Ein argentinischer Bekannter, der für die erforderlichen Papiere wie auch für die Überfahrt der spanischen Auswanderer sorgen könne, werde sich mit ihnen in Verbindung setzen, damit alles seinen Gang gehe. Alles sah so einfach aus, dass es unmöglich schien, Nein zu sagen. Also beschlossen Josep und Antònia, mit ihren drei Kindern von vierzehn, neun und fünf Jahren sowie den Eltern der Mutter die lange Reise zu unternehmen und den gesamten Hausrat einzupacken. Der Großvater zimmerte aus der ausrangierten Ladentheke einer Parfümerie große Überseekisten zusammen, denn die Pappkoffer konnten die Fülle des Mitgenommenen nicht fassen. Dann wurde alles auf die Cabo de Hornos geschafft: Matratzen, Bett- und Tischwäsche, Kochtöpfe, Besteck, Geschirr und persönliche Gegenstände, aber auch Spiegel und alles, was man sonst noch für einen Friseursalon brauchte, unter anderem zwei riesige Trockenhauben. Zwar war das Schiff von 23 000 Tonnen mit neunhundert Passagieren und deren Habe bis an den Rand seines Fassungsvermögens gefüllt, doch passte alles hinein. Der lebenslustige Argentinier, der die Papiere so vieler verzweifelter Menschen bearbeitete, wobei er sicherlich den einen oder anderen bedenkenlos übers Ohr haute, hatte bestens für die Familien Coll und Carreras gesorgt, denn ihnen standen an Bord drei Erste-Klasse-Kabinen zur Verfügung, obwohl ihre Mittel ihnen das
keinesfalls gestattet hätten. Albert Carreras erinnert sich noch an die in riesige Schlafsäle verwandelten Laderäume mit mehreren Reihen von Etagenbetten, die so stark nach menschlichen Ausdünstungen rochen, dass man davon buchstäblich die Nase voll hatte.
Die Überfahrt war in der Erinnerung Alberts die reinste Vergnügungsreise mit Mahlzeiten von drei Gängen, Schwimmbad und Spielsalons … Der einzige unangenehme Augenblick kam in der Bucht von Santos im Golf von Santa Catalina, wo hoher Wellengang das Schiff hob und senkte, als fahre es auf einer Achterbahn. Die Reise dauerte 21 Tage, und in jedem Hafen, in dem das Schiff anlegte, bot sich ein neues Bild: die in Santa Cruz auf Teneriffa wartenden Frauen, die bestickte Tischdecken feilboten, die Berge von Erdnüssen auf den Kais von Dakar, die verlockend duftenden Früchte an den Verkaufsständen von São Paulo … Montevideo erschien ihnen wie ein Abbild von Barcelona, während Buenos Aires sie durch seine ungeheure Größe beeindruckte. Der kleine José war ein ausgesprochen sympathischer Junge, und alle in der ersten Klasse hatten Gefallen an seinen Späßen. Sicherlich war er bereits damals ein begabter Bühnenkünstler.
Schon bald aber sah sich die Familie Carreras der rauen Wirklichkeit gegenüber. Im Hafen von Buenos Aires erwartete sie der Onkel mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern. Nach den Umarmungen kam die erste Überraschung. Sein Haus in Villa Ballester in den Außenbezirken der Stadt bot nicht für alle Platz, da seine Familie es sich mit einem anderen Ehepaar teilte. Die Großeltern und die Kinder konnten dort unterkommen, aber die Eltern mussten sich eine Pension suchen. Dann erklärten ihnen die Verwandten, sie sollten sich nicht unnötig lange in Buenos Aires aufhalten, sondern möglichst bald mit einem Flussdampfer über den Río de la Plata und den Paraná nach Asunción fahren, der Hauptstadt von Paraguay. Dort lebe eine gute Bekannte, die ihnen Kontakte für die Arbeitssuche im Lande vermitteln könne. Nach einigem Überlegen kamen sie zu dem Ergebnis, das sei angesichts der problematischen Wohnsituation besser, als in Buenos Aires zu bleiben. So wurde ein paar Tage später das in einem Speicher am Hafen eingelagerte umfangreiche Gepäck der Familie auf ein kleines Schiff umgeladen, das auf dem Weg nach Asunción in
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