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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Carreras
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allerdings in den letzten Jahren immer wieder an Bewegungs- und Kreislaufstörungen gelitten. Am schlimmsten war für ihn eine Einschränkung, die von der Wirbelsäule hervorgerufen wurde und dazu geführt hatte, dass er schon seit einigen Jahren den ganzen ersten Teil eines Konzerts oder eine ganze Sinfonie dirigierte, ohne die Beine im Geringsten zu bewegen – alles kam ausschließlich aus Oberkörper und Armen. Er war auch schon einige Male an der Wirbelsäule operiert worden, und es ging ihm in dieser Beziehung nicht
besonders gut. Trotzdem arbeitete er mit immenser Willenskraft weiter.
    Von seinem Tod erfuhr ich in Mérida, wo ich im Juli 1989 sang. Wir probten gerade im antiken römischen Theater der Stadt Cherubinis Medea mit Montserrat Caballé. Die Mitteilung habe ich über meinen österreichischen Sekretär, den jemand angerufen hatte, gleich nach dem Dahinscheiden des großen Dirigenten bekommen. Am Tag vor seinem Tod hatte er noch eine Probe zur Neuinszenierung von Ein Maskenball für die Salzburger Festspiele geleitet. Bei der Premiere war dann Georg Solti an seine Stelle getreten. Karajans Tod machte mich tief betroffen, denn wir hatten viel miteinander erlebt, und ich hatte das Gefühl, einen schweren Verlust zu erleiden. Nicht nur hatte er mich in den Jahren unserer Zusammenarbeit stets mit außergewöhnlicher Zuneigung und Achtung behandelt, ich habe auch viel von ihm gelernt. Ich habe ihn zutiefst bewundert und war ihm dankbar für alles, was er für mich getan hatte.

    Zu der Aussage von Carreras, Karajan sei ihm wie eine Art Gottheit erschienen, passt ein Witz, der damals in Opernkreisen die Runde machte: In einer aus Carlo Maria Giulini, Georg Solti, Leonard Bernstein und Herbert von Karajan bestehenden Gesprächsrunde erklärt Giulini: »Gott hat mir gesagt, dass ich der beste Dirigent der Welt sei.« »Wie sonderbar«, hält Solti dagegen, »er ist mir erschienen und hat mir versichert, ich sei die Nummer eins, weil ich nicht nur dirigiere, sondern auch ein außergewöhnlicher Pianist bin.« Daraufhin meldet sich Bernstein zu Wort und erklärt: »Das verstehe ich nicht – gerade heute Nacht hat mir Gott gesagt, dass an meiner Spitzenposition nicht der geringste Zweifel bestehen könne, denn ich sei nicht nur der beste Dirigent und der beste Pianist, sondern auch der beste Komponist. « Daraufhin erklärt Karajan rundheraus: »Meine Freunde, ich kann mich nicht erinnern, mit euch gesprochen zu haben.«

9.
Der Abend, an dem Bernstein sang: »I’ll never stop saying Carreraaaas … «
    E ines Tages im Jahre 1984 meldete sich ein Vertreter der Deutschen Grammophon bei Carreras’ Manager Carlos Caballé und schlug vor, Leonard Bernsteins Musical-Welterfolg West Side Story aufzunehmen, dessen Verfilmung – vier Jahre nach der Erstaufführung von 1957 in einem New Yorker Theater – mit zehn Oscars ausgezeichnet worden war. Obwohl Carreras noch nie Stücke aus den großen Broadway-Musicals gesungen hatte, war er sofort Feuer und Flamme für das Vorhaben. Bernstein sollte selbst dirigieren und die Sopranistin Kiri Te Kanawa die Rolle der Maria übernehmen. Der aus Neuengland stammende und auf der ganzen Welt berühmte Bernstein, der mehrere Jahrzehnte hindurch am Pult der New Yorker Philharmoniker gestanden hatte, war bereits mit weiteren Musicals hervorgetreten, darunter On the Town (deutscher Titel: New York, New York ), Operetten wie Candide, aber auch mit Filmmusik, unter anderem zu Elia Kazans Die Faust im Nacken . Außer den New Yorker Philharmonikern hatte er auch andere berühmte Orchester dirigiert, insbesondere die Wiener Philharmoniker, und mit bedeutenden Opernstars wie Maria Callas an der Mailänder Scala zusammengearbeitet. Überdies hatte er eine Oper, A Quiet Place (Ein stiller Ort bzw. Ruhe und Frieden) komponiert, deren Erstaufführung er 1983 persönlich herausgebracht hatte, nur wenige Monate vor dem Beginn der Zusammenarbeit mit Carreras.

    Ich lernte Bernstein im Rainbow Room kennen, dem berühmten Restaurant im 65. Stock des RCA-Gebäudes im Rockefeller Center an der Fifth Avenue, von wo aus man einen der schönsten Ausblicke genießen kann, die New York zu bieten hat. Ich wusste, was der Mann für die Musikwelt bedeutete, zumal in den Vereinigten
Staaten, und war mir von Anfang an im Klaren, dass ich es mit einer überaus wichtigen und eindrucksvollen Persönlichkeit zu tun haben würde. Auch er war sich dessen bewusst und verstand es, mit seinem Pfund zu wuchern, sowohl,

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