Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
befreundet sind, hat Parera Fons ein der Tochter des Sängers gewidmetes Stück mit dem Titel »Júlia« komponiert. Carreras sang zehn Nummern, in erster Linie Lieder und Balladen, teils auf Katalanisch, teils auf Spanisch, und kehrte unmittelbar nach der Aufnahme nach New York zurück.
Es waren Jahre intensiver Arbeit, in denen Verträge mit großen Opernhäusern der Welt aufeinander folgten: Wiener Staatsoper, Mailänder Scala, Covent Garden, Metropolitan Opera und mein Liceu … Wenn ich drei oder vier Tage freihatte, bot man mir gewöhnlich eine Bohème, Tosca oder Carmen an, um die Lücke zu füllen. So flog ich beispielsweise – statt mir dort die Sehenswürdigkeiten anzuschauen – von Wien nach München, was nur eine Dreiviertelstunde dauert, um den Cavaradossi zu singen. Von überallher wurden mir Angebote gemacht, und es war mir gerade recht, mich auf möglichst vielen Bühnen zu zeigen.
Ich erinnere mich, wie tief es mich ergriffen hat, als ich 1986 nach Buenos Aires zurückkehrte, wo ich als Kind mit Eltern und Geschwistern eine Zeit lang gelebt hatte. Bereits im September 1973 hatte man mir angeboten, sechsmal im Teatro Colón der argentinischen Hauptstadt in La Traviata aufzutreten, und ich war vor Begeisterung, auf einer so angesehenen Opernbühne singen zu
dürfen, wie aus dem Häuschen. Doch nur wenige Tage vor meinem Abflug kam ein Telegramm, in dem es hieß: »Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass die Verwaltung der Stadt Buenos Aires Ihren Vertrag mit dem Teatro Colón nicht gegengezeichnet hat …« Als Honorar waren zweitausend Dollar pro Auftritt vereinbart gewesen, damals für mich ein kleines Vermögen. Ich beschloss, so zu tun, als hätte ich das Telegramm nicht bekommen, und flog nach Argentinien. Am Flughafen empfing mich der Agent, der den Vertrag mit Carlos Caballé in Barcelona ausgehandelt hatte, und fragte erstaunt, ob ich seine Mitteilung nicht bekommen hätte. Doch, gab ich zurück, aber ich würde gern singen, wenn es eine Möglichkeit dazu gäbe. So suchten wir das Opernhaus auf, um dessen Leitung umzustimmen. Argentinien war damals – na ja, wie fast immer – politisch gesehen eine Art Pulverfass, nur diesmal noch ein wenig mehr als sonst, denn Juan Domingo Perón war gerade nach achtzehn Jahren aus dem Exil heimgekehrt, nachdem Präsident Cámpora zwei Monate zuvor zurückgetreten war. Im Teatro Colón empfing uns ein Mann von der Verwaltung, der, wenn ich mich richtig erinnere, früher einmal Landwirtschaftsminister gewesen war. Als ich ihn begrüßte, fragte er: »Ah, Carreras. Sie sind aber doch Spanier, oder?« Ich bestätigte das. »Ich hatte immer gedacht, Sie sind Italiener.« Ich legte ihm dar, dass mein katalanischer Vorname Josep zwar so ähnlich wie der italienische Giuseppe ausgesprochen werde, aber dem spanischen José entspreche, woraufhin er erklärte, die Stadtverwaltung habe mehrfach Schwierigkeiten mit den Gewerkschaften gehabt, die sich über die zu hohe Zahl der an städtischen Bühnen verpflichteten Ausländer beschwert hatten. Aus diesem Grund habe sie den Vertrag nicht gegengezeichnet. Ich wies darauf hin, dass ich einen Teil meiner Kindheit in Argentinien verbracht hatte und eigens um die halbe Welt geflogen sei, um La Traviata zu singen, weil mir nichts mehr am Herzen liege, als das in dem Land zu tun, das sozusagen meine zweite Heimat war. Er dachte eine Weile nach und sagte schließlich: »Wir wollen es versuchen. Da Sie
Spanier sind, wird man Ihnen kaum Steine in den Weg legen.« So kam es, dass ich an vier Abenden sang und man mir die beiden verbleibenden Auftritte bezahlte, ohne dass ich zu singen brauchte. Von Buenos Aires bin ich dann mit meinem kleinen Kapital glücklich und zufrieden zu weiteren Auftritten nach San Francisco geflogen.
Als ich dreizehn Jahre später für zwei Konzerte, bei denen ich zusammen mit Agnes Baltsa singen sollte, nach Buenos Aires zurückkehrte, gab es keinerlei Schwierigkeiten mit meinem Vertrag. Das Publikum empfing uns mit großer Wärme, und ich hatte sogar Zeit, mit einem Vetter, der nach wie vor dort lebte, einige Orte meiner Kindheit aufzusuchen. Anschließend kamen Carmen an der Scala, Amilcare Ponchiellis La Gioconda am Liceu … In ganz besonderer Erinnerung ist mir Leoncavallos Bajazzo geblieben, in dem ich im April 1987 an der Mailänder Scala gesungen habe. Darauf folgten drei mir wichtige Plattenaufnahmen, nämlich Die Jüdin von Halévy, eine äußerst lange, aber wunderschöne
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