Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
selbst dort auftrat. Als Carreras daraufhin versuchte, eine Karte zu bekommen, erwies sich das als vergebliches Unterfangen, denn es gab keine einzige – nicht einmal im Schwarzhandel. So blieb ihm nichts anderes übrig, als Pavarotti zu fragen, ob er ihm eine Karte verschaffen könne. Er wohnte der Aufführung im obersten Rang bei, umgeben von lauter treuen Verehrern des Sängers aus Modena, und so wurde der katalanische Tenor, als Karajan im Orchestergraben auftauchte, Zeuge von Ovationen, wie er sie noch nie zuvor gehört hatte. Angesichts des Jubels, in den das Wiener Publikum ausbrach, nahm er an, dass sich der Beginn der Aufführung verzögern werde, doch nachdem sich Karajan ein-, zweimal dankend verneigt hatte, kehrte er dem Publikum ziemlich unvermittelt den Rücken, wandte sich dem Orchester zu und hob den Taktstock, während er zugleich einen Bühnenarbeiter anwies, den großen Strauß roter Blumen beiseitezuräumen, den die Leitung des Hauses auf das Dirigentenpult hatte legen
lassen. Wie durch Zauberhand wurde es im Saal still, und Karajan gab den Einsatz zur Ouvertüre.
Fünf Tage später befand sich Carreras nicht auf dem »Olymp« im obersten Rang, sondern mitten auf der Bühne, und das Publikum verhielt sich haargenau wie am Eröffnungsabend, so als seien all diese Aufführungen ein durchgehendes Fest und zugleich eine persönliche Huldigung an den verehrten Meister.
Während bei geschlossenem Vorhang der Beifall für den Dirigenten tobte, schien mein Herz zu rasen. Mirella hat mir anschließend gestanden, dass es ihr trotz der langen Zusammenarbeit mit Karajan ebenso ergangen sei. Die Kritik lobte die Leistung des Dirigenten, Mirellas wie auch meine einhellig. Ich glaube, dass ich bei dieser Gelegenheit den Rodolfo so gut wie nur selten gesungen habe. Die letzte Aufführung von Puccinis Werk in Wien, die den Abschluss des Zyklus bildete, war noch bewegender, weil das Publikum nach der Vorstellung volle fünfundvierzig Minuten lang applaudierte und die Bravorufe nicht enden wollten. Der österreichische Bundespräsident Rudolf Kirchschläger harrte in seiner Loge aus, während das Publikum nicht einmal dann bereit war, den Saal zu verlassen, als der schwere eiserne Vorhang niederging. Man musste ihn wieder hochziehen, und Mitarbeiter des Hauses holten uns Künstler aus der Garderobe zurück, damit wir noch ein letztes Mal von der Vorbühne aus den Beifall entgegennehmen konnten. Als wir ein Jahr später erneut mit La Bohème dort auftraten, verhielt sich das Publikum nicht sehr viel anders.
Zu dieser Zeit hatte sich Karajan entschlossen, bei den Salzburger Festspielen Aida aufzuführen, wobei er mir die Rolle des ägyptischen Heerführers Radames zugedacht hatte, in den sich sowohl die als Sklavin nach Ägypten verschleppte äthiopische Prinzessin Aida wie auch die Pharaonentochter Amneris verliebt. Als er diesen Plan bekannt gab, bezweifelten manche, dass ich der Rolle stimmlich gewachsen sei. Man wollte mir sogar einreden, ich sei noch nicht so weit, eine so komplexe Rolle zu übernehmen,
weshalb es klüger sei zu warten, um meine Stimme nicht zu gefährden. Mir war klar, dass die Rolle Risiken barg, und ich dachte auch an den Rat, den mir meine Mutter kurz vor ihrem Tod gegeben hatte, als sie mir nahelegte, ausschließlich solche Rollen anzunehmen, die meiner Stimme nicht schaden würden. Über all das habe ich mit Karajan gesprochen. Er hat mich beruhigt und mir seine Vorstellung dargelegt, der zufolge ich nicht die Macht des Kriegers in den Vordergrund stellen sollte, sondern eher die Zärtlichkeit eines Liebenden. Er war überzeugt davon, dass ich die schwierige Arie »Celeste Aida« (Holde Aida) im ersten Akt, in welcher der Tenor seine Leidenschaft ausdrückt, bewältigen könne, denn schließlich hätte ich meine Fähigkeit dazu im Duett des zweiten Akts von Ein Maskenball glänzend bewiesen, bei dem Amelia und Riccardo einander um Mitternacht ihre Liebe gestehen. Auch die Gerichtsszene machte mir Sorgen, da das an dieser Stelle sehr laute Orchester dem Tenor Schwierigkeiten bereitet. Doch auch in diesem Punkt beruhigte mich der Maestro und erklärte, er werde dafür sorgen, dass das Orchester meine Stimme nicht übertönte.
Drei Monate vor der Salzburger Premiere dirigierte Karajan im Großen Saal des Wiener Musikvereins, dem wohl angesehensten Konzertsaal der Welt, in dem die Wiener Philharmoniker alljährlich ihr Neujahrskonzert geben, Aida für eine Plattenaufnahme der EMI, wofür
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