Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik
beitragen zu dürfen, bei denen die Augen der Welt zwei Wochen lang auf meine Heimatstadt und mein Land gerichtet sein würden.
Carreras gehört zu den Menschen, die nie jemanden enttäuschen, wenn sie eine Aufgabe übernehmen. Pflichtgefühl ist tief in seinem Wesen verwurzelt, und ihm ist in Fleisch und Blut übergegangen, dass wer an die Spitze gelangen will, nicht nur sich selbst, sondern auch anderen treu sein muss. Obwohl sein Terminkalender Anfang der Neunzigerjahre schon eine ganze Reihe von Verpflichtungen enthielt, fand er eine Möglichkeit, die Teilnahme an den immer mittwochs stattfindenden Koordinationssitzungen nur äußerst selten absagen zu müssen. Bei ihnen kamen außer dem Betreiber der Werbeagentur unter anderem Pep Sol, der Direktor der Produktionsfirma Ovideo, der Verleger Josep Maria Casanovas und der Regisseur Manuel Huerga zusammen. »Er war einfach großartig: Von siebenundsiebzig Beratungen hat er an vierundsiebzig teilgenommen«, erinnert sich Bassat und fügt hinzu, dass Carreras an manchen Tagen vormittags in Wien war und abends in Barcelona an den Entscheidungsprozessen teilnahm, wozu er mit einem Privatflug eigens gekommen war. »Ich habe nie erlebt, dass jemand eine übernommene Aufgabe so gewissenhaft erfüllt hat wie er.«
Bei diesen Arbeitssitzungen lernte Carreras Virginia Ensesa kennen, die danach seine Privatsekretärin wurde. »Virginia ist eine ungewöhnlich tüchtige und treue Kraft. Ich könnte mir die letzten zwanzig Jahre ohne die enge Zusammenarbeit mit ihr und ihre bedingungslose Unterstützung nicht vorstellen«, sagt der Tenor.
Carreras’ Kontakte und sein Bekanntheitsgrad waren entscheidend dafür, dass man ohne Schwierigkeiten die Zusage höchstrangiger Persönlichkeiten von Weltruf für eine Mitwirkung an den Feiern bekam. Für die Begleitmusik zur Darstellung der mediterranen Mythologie und der Verbindung zwischen Griechenland und Barcelona über zwanzig Jahrhunderte hinweg, die Bestandteil der Eröffnungsfeier sein sollte, brauchte man einen Komponisten von unbestreitbarem Rang. Jemand regte an, man solle Ryuichi Sakamoto damit beauftragen, der den Oscar für die Filmmusik zu Der letzte Kaiser bekommen hatte. Carreras versprach, mit ihm zu verhandeln, und binnen vierundzwanzig Stunden lag die Zusage auf dem Tisch. Bei einer anderen Sitzung wurde Angelo Badalamenti vorgeschlagen, der Lieblingskomponist des Regisseurs David Lynch, seit er das Titellied zu dessen Film Blue Velvet komponiert hatte. Auch hier übernahm es Carreras, sich mit Badalamenti in New York in Verbindung zu setzen, und drei Tage später traf ein Telegramm mit dessen fester Zusage ein.
Bei einer der Sitzungen kam man überein, dass man für die Schlussfeier ein eingängiges Lied haben wolle, das die Menschen noch lange nach den Olympischen Spielen singen würden. Wie schwierig es sein würde, diese Aufgabe in angemessener Weise zu lösen, war allen klar, und während man hin und her redete, wurde eine ganze Reihe von Namen genannt. Dann aber schlug Carreras einen vor, über den es nichts zu diskutieren gab: den Londoner Komponisten Andrew Lloyd Webber, Autor einiger der erfolgreichsten Musicals in der Geschichte des Broadway wie Jesus Christ Superstar, Evita, Cats und Das Phantom der Oper . Alle waren überzeugt, dass es schwierig sein würde, an ihn heranzukommen, und noch schwieriger, zu erreichen, dass er seine Zeit darauf verwandte, für die Olympischen Spiele in Barcelona ein Lied zu komponieren, zumal dafür nur ein vergleichsweise unbedeutender Etat zur Verfügung stand. Carreras rief gleich aus dem
Sitzungsraum an und bekam Lloyd Webber sofort an den Apparat. Dieser war von dem Auftrag so begeistert, dass er die Organisatoren für vier Tage später zu sich nach London einlud.
Da ich Lloyd Webber kannte, hatte ich sogleich an ihn als Komponisten für ein Lied gedacht, das zum Motto der Spiele passen sollte. Als ich ihn anrief, begriff er sofort, was wir von ihm wollten und wie sehr uns dieser Auftrag am Herzen lag. Schon bald darauf empfing er uns in seinem Haus am Eaton Square im eleganten Viertel Belgravia, ganz in der Nähe der Botschaft Spaniens. Von außen sieht es recht bescheiden aus, aber wer den Fuß über die Schwelle setzt, fällt vor Staunen um. Ich erinnere mich, wie ungläubig Bassat die Caravaggios an den Wänden anstarrte. Wir hatten gewusst, dass der Komponist ein großer Kunstfreund war, hätten aber nicht geglaubt, dass er in seinem Haus eine so aufsehenerregende
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