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Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik

Titel: Aus vollem Herzen: Über das Geschenk des Lebens und die Kraft der Musik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Carreras
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stammende Tenor Alfredo Kraus, der zum Abschluss des den Völkern Spaniens gewidmeten Teils die olympische Hymne anstimmen sollte, unmittelbar nachdem die Flamencotänzerin Cristina Hoyos auf einem Rappen ins Stadion eingezogen war. Es galt nämlich noch einige Schwierigkeiten auszuräumen, die mit dem Auftreten der Drei Tenöre in den Caracalla-Thermen zusammenhingen. Damals hatte sich Kraus äußerst negativ darüber geäußert – angeblich aus Verärgerung darüber, dass man ihn nicht als vierten Tenor hinzugenommen hatte. Das hatte insbesondere Carreras verstimmt, der Kraus als Menschen aufrichtig schätzte und als Sänger bewunderte. Mehr als einmal hatte er erklärt, ihn beeindrucke die Sicherheit von dessen ausgefeilter Technik, die es ihm gestattete, jedem Auftritt mit unerschütterlicher Gelassenheit entgegenzusehen.
    Andererseits war klar, dass Bassat auch Kraus bei der »Parade« der spanischen Opernsänger berücksichtigen wollte. Die Lösung, zu der man gelangte, sah vor, dass Kraus bei der Eröffnungsfeier ein Lied singen und die olympische Hymne in dem Augenblick anstimmen sollte, da die olympische Fahne im Stadion gehisst wurde.

    Offen gestanden hat es mich tief bewegt, bei der Eröffnungsfeier das Willkommenslied »Sigueu benvinguts« auf Katalanisch gemeinsam mit Montserrat Caballé zu singen, die von so großer Bedeutung für meine künstlerische Laufbahn gewesen war. Während wir sangen, bildeten sechshundert Tänzer im Stadion fünf Sardana-Kreise in Gestalt der olympischen Ringe, bevor sie sich zu einem großen Herzen umgruppierten. Zum Schluss der Feier sangen wir im Sextett ein Opernpotpourri sowie Schillers Ode »An die Freude« in Beethovens Vertonung – ein Stück, dessen Melodie zugleich die Europahymne ist. Da ich noch am Abend vor der Eröffnungsfeier bei einem Konzert in Deutschland aufgetreten war, musste ich am Mittag mit einem Privatflug zurückkehren. Noch komplizierter lagen die Dinge am Tag der Schlussfeier – um elf Uhr morgens sang ich in Salzburg unter Claudio Abbado im Te Deum von Berlioz und musste am selben Abend mit »Friends for Life« im Olympiastadion auftreten, was alles andere als einfach war, zumal noch ein zweistündiger Flug dazwischenlag. Selbstverständlich vereinfachte das Playback die Dinge. Als die Schlussfeier vorüber war, war ich glücklich, dass dank der Bemühung so vieler Menschen alles gut abgelaufen war und Barcelona wie auch Katalonien sich der Aufgabe gewachsen gezeigt hatten. Zum Schluss umarmten einander alle, die so viele Monate an der Vorbereitung dieses Ereignisses mitgewirkt hatten, und prosteten sich in der Überzeugung zu, dass der Einsatz die Mühe wert gewesen war.

16.
Mozarts Requiem in Sarajevo mit Kanonendonner im Hintergrund
    E inen der bewegendsten Tage außerhalb meines Heimatlandes habe ich zweifellos erlebt, als ich in Mozarts Requiem in den Trümmern der alten Nationalbibliothek von Sarajevo gesungen habe, der Hauptstadt der Republik Bosnien-Herzegowina, während rings um die Stadt geschossen wurde, denn es herrschte nach wie vor Krieg. Mit dem Konzert wollten wir die Welt darauf aufmerksam machen, wie entsetzlich die Belagerung dieser Stadt war. Angeregt hatte das mein guter Freund Mario Dradi, der das erste Konzert der Drei Tenöre organisiert hatte und dem dieser Konflikt in unmittelbarer Nähe seines Geburtsortes sehr naheging. Als er mir den Vorschlag machte, zögerte ich keine Sekunde, auch wenn niemand unsere Sicherheit gewährleisten konnte, obwohl uns UN-Blauhelme auf Schritt und Tritt begleiteten. Ein Krieg ist nun einmal ein Krieg, und auch wenn in Sarajevo selbst das Schlimmste bereits vorüber war, gingen die Kampfhandlungen in unmittelbarer Nachbarschaft weiter.

    Sarajevo, dessen Anfänge auf das 13. Jahrhundert zurückgehen, erlebte seine Glanzzeit im 17. Jahrhundert, als es die größte Stadt auf dem Balkan und nach Istanbul die zweitgrößte des Osmanischen Reiches war. 1878 wurde es Verwaltungszentrum des unter der Herrschaft Österreich-Ungarns stehenden »Kondominiums« und erlangte traurige Berühmtheit dadurch, dass 1914 ein serbo-bosnischer Attentäter dort den österreichischen Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Gattin Sophie ermordete, was einer der Auslöser des Ersten Weltkriegs wurde. Der Name der Stadt geht auf das türkische Wort »saray« zurück und bedeutet »Schloss« oder
»Palast«. Als José Carreras am 19. Juni 1994 aus der Militärmaschine stieg, die ihn und die anderen Sänger aus dem

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