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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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sterben, weil er und sein Führer sie als Bedrohung ansahen. Seine Handlungen in den letzten Monaten des Kriegs standen scheinbar in krassem Widerspruch zu dieser Aussage. Himmlers Plan eines Austauschs von Juden gegen Lastwagen 1944 in Ungarn, bei dem er sich Bandi Grosz’ Hilfe bediente, um die Stimmung auszuloten, wurde bereits ausführlich diskutiert. Zwar scheiterte dieses Vorhaben, aber es wird dennoch deutlich, wie Himmlers Verstand inzwischen arbeitete. Was den Reichsführer-SS betraf, so sollte jetzt Ideologie durch Pragmatismus ersetzt werden.
    Im Februar 1945 äußerte sich Himmlers flexiblere Haltung in dem Transport von 1200 Juden von Theresienstadt in die Schweiz. Die Freilassung war von der American Union of Orthodox Rabbis über eine Reihe von Mittelsmännern organisiert worden, und diesmal hieß es nicht »Juden gegen Lastwagen«, sondern »Juden gegen harte Devisen«. Rita Reh 9 war eine der Insassinnen von Theresienstadt, die ausgetauscht wurde: »Als wir im Zug waren, kam die SS und befahl uns, uns zu schminken, das Haar zu kämmen und entsprechend anzuziehen, damit wir bei unserer Ankunft passabel aussahen. Sie wollten, daß wir auf die Schweizer einen guten Eindruck machten.«
    Adolf Hitler erfuhr erst aus den Schweizer Zeitungen von der Freilassung der Juden aus Theresienstadt. Er war außer sich vor Wut. Es stimmte zwar, daß bereits im Dezember 1942 Himmler Hitlers Einverständnis eingeholt hatte, bestimmte Juden gegen Devisen zu tauschen – berühmte Juden als »Geiseln« zu nehmen, entsprach der offiziellen Politik der Nationalsozialisten –, aber die Freilassung der Juden aus Theresienstadt war ohne Hitlers Wissen oder Einverständnis erfolgt und mußte ihm jetzt, da sich der Krieg in seinem Endstadium befand, wie Defätismus vorkommen. Hitler untersagte jeden weiteren Austausch dieser Art.
    Aber Himmler handelte ein weiteres Mal gegen Hitlers Befehl, als er zuließ, daß Bergen-Belsen im April von den Alliierten befreit wurde. Hitler hatte befohlen, alle Konzentrationslager vor dem Eintreffen der Alliierten zu zerstören. Doch Himmler widersetzte sich ausdrücklich diesem Befehl. Man vermutet, daß er Bergen-Belsen intakt ließ, als eine Art »Zugeständnis« an die Alliierten, und selbst nicht über die Zustände im Lager Bescheid wußte. Himmlers Rechnung ging jedoch nicht auf, denn die fürchterlichen Bilder aus dem Lager schockierten die Weltöffentlichkeit. »Die Zustände in diesem Lager sind unbeschreiblich«, sagte ein britischer Soldat, der für die Wochenschau interviewt wurde. »Wenn du so etwas mit eigenen Augen siehst, weißt du, wofür du kämpfst. Die Photos in der Zeitung können das nicht ausdrücken. Die Dinge, die die verbrochen haben – niemand würde glauben, daß es Menschen sind.«
    Trotz dieses fehlgeschlagenen Versuchs, die Gunst der Alliierten zu erlangen, gab Himmler noch nicht auf. Am 20. April traf er sich mit Norbert Masur, einem Abgesandter des Jüdischen Weltkongresses, und willigte ein, 1000 jüdische Frauen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück freizulassen. Himmlers einzige Bedingung war, daß sie als »Polen«, nicht »Juden« eingeordnet würden, damit Hitler nichts davon erfuhr. Am selben Abend vertraute Himmler Felix Kersten, seinem Masseur, an: »Wenn ich noch mal von vorn anfangen könnte, würde ich vieles anders machen. Aber als treuer Soldat mußte ich gehorchen, denn kein Staat kann ohne Gehorsam und Disziplin überleben.« 10
    Nicht nur Himmler handelte in den letzten Tagen des Kriegs gegen den Befehl des Führers, sondern ganze Einheiten der SS. Tief im Innern des Führerbunkers in Berlin wurde Hitler am 21. April von Artilleriefeuer geweckt. Das Unvorstellbare war eingetreten: Die Rote Armee marschierte in Berlin ein. Hitler befahl SS-Oberstgruppenfüher Felix Steiner, einen Gegenangriff gegen Marschall Schukows 1. Weißrussische Front zu starten, die durch die nördlichen Vororte der Stadt vorrückte. Aber Steiner weigerte sich: »Als der Befehl eintraf«, erzählt Franz Riedweg 11 , Steiners Adjutant, »sagte er: ›Ich werde keinen weiteren Angriff auf die Russen mehr starten. Ich würde damit Männer in den Tod schicken. Ich werde meine Truppen nicht wegen eines sinnlosen Befehls opfern.‹« Als er von Steiners Weigerung erfuhr, tobte und brüllte Hitler, wie ihn noch nie jemand im Bunker erlebt hatte. Die SS hatte ihn im Stich gelassen. Jetzt bliebe ihm nur noch, wie er sagte, sich das Leben zu nehmen.
    Am 23. April wurde

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