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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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Himmler, der sich an diesem Tag mit Graf Folke Bernadotte, einen Repräsentanten des Roten Kreuzes, traf, von Hitlers Tobsuchtsanfall unterrichtet. Himmler glaubte, daß er, da Hitler angekündigt hatte, er werde Selbstmord begehen (und vielleicht sogar schon tot war) nun im Namen des Reichs handeln dürfe. Er sagte Bernadotte, daß er seinen Vorschlag den westlichen Alliierten unterbreiten könne; Deutschland erkläre sich der bedingungslosen Kapitulation gegenüber Großbritannien und den Vereinigten Staaten bereit, aber nicht gegenüber der Sowjetunion.
    Himmlers Plan der Teilkapitulation wurde von den Alliierten abgelehnt, aber Radio BBC berichtete darüber, wodurch Hitler von Himmlers Absicht erfuhr. Der deutsche Führer war noch nicht tot. Ganz im Gegenteil. Als er die Nachricht erhielt, fühlte er sich verraten. »Natürlich war Hitler extrem verärgert«, sagt Bernd Freiherr Freytag von Loringhoven 12 , der sich als Mitglied des Generalstabs der deutschen Armee ebenfalls im Bunker aufhielt. »Militärisch gab es keine Hoffnung mehr. Aber dieser Schritt von dem Mann, dem er am meisten vertraut hatte? Dieser Mann hatte ihn im Stich gelassen und sich an die Alliierten gewandt. Hitler zog die Konsequenz daraus und diktierte sein politisches und sein persönliches Testament. Und zwei Tage später war er tot.«
    Hitler beging am 30. April 1945 kurz vor 15.30 Uhr Selbstmord, als sich Soldaten der Roten Armee dem Reichstag näherten. Er hinterließ eine politische Erklärung, die er in der Nacht zuvor formuliert hatte und in der er die Juden für den Krieg verantwortlich machte. Hitler starb, wie er gelebt hatte, von Haß auf das jüdische Volk verzehrt, ohne die geringste Reue. Wie wir an der Umsetzung der »Endlösung« gesehen haben, kümmerte sich Hitler manchmal um jedes kleine Detail und hielt sich dann wieder im Hintergrund. Aber an seinem Verhalten gegenüber Himmler wird deutlich, daß er bis zum Schluß an seinem fanatischen Haß gegen die Juden festhielt.
    Himmler ließ sich, im Gegensatz zu dem Mann, dem er diente, von den Ereignissen beeinflussen: Er verhandelte nicht nur, um Juden gegen Geld zu tauschen, sondern versuchte sogar heimlich ein Friedensabkommen zu schließen. Denn Himmler schien anders als Hitler in den letzten Kriegstagen zu glauben, daß es eine Zukunft gab. Sein Vorgehen rief unter den Angehörigen der SS Bestürzung hervor. Am 5. Mai traf sich Himmler zum letzten Mal mit Führern der SS, unter ihnen Rudolf Höß. Bei diesem Treffen, das in Großadmiral Dönitz’ Hauptquartier in Flensburg stattfand, verkündete Himmler, er habe nun eine neue Aufgabe, die er allein bewältigen müsse. Er befehle allen anderen, in der Wehrmacht unterzutauchen. Höß war überrascht. Er hatte eine letzte symbolische Geste erwartet, nicht diese geschmacklose Anordnung, davonzulaufen und sich zu verkriechen. Höß befolgte jedoch Himmlers Befehl und »tauchte« in der Armee »unter«, besorgte sich eine Marineuniform und versuchte sich als einfacher Soldat der Kriegsmarine auszugeben.
    Aber Himmlers Zuversicht, daß das »Schicksal« Großes mit ihm vorhabe, existierte wie so viele seiner Ideen nur in seiner Phantasie. Am 23. Mai, gut zwei Wochen nach seinem letzten Treffen mit Höß, beging er Selbstmord, nachdem er hatte einsehen müssen, daß die Alliierten niemals mit einem Mann, der Millionen auf dem Gewissen hatte, Geschäfte machen würden. Daß er je solche Hoffnungen gehegt hatte, sagt viel über diesen Mann aus: seine Fähigkeit zur Selbsttäuschung, sein übersteigertes Selbstbewußtsein, sein übertriebener Optimismus. Aber vor allem zeigt es seinen Opportunismus: Er, der jahrelang Hitlers loyales Werkzeug gewesen war, wandte sich von heute auf morgen von ihm ab, um sich einem neuen Herrn anzubiedern.
    Nachdem Hitler und Himmler tot und viele der Täter untergetaucht waren, hätten die Lagerinsassen in den Tagen direkt nach Kriegsende eigentlich aufatmen können. Aber dem war nicht so.
    Helena Citrónová und ihre Schwester irrten im Mai und Juni 1945 durch das befreite Deutschland und trafen auf den Straßen auf Scharen von Deutschen, die auf der Flucht in den Westen waren. Sie schliefen in Scheunen oder ausgebombten Häusern und ernährten sich von Essensabfällen. Nach kurzer Zeit trafen sie auf Soldaten der Roten Armee. Helena und ihre Schwester erlebten diese Männer weniger als Befreier, sondern eher als Eroberer. Manche der sowjetischen Soldaten machten die Nachtlager der Flüchtlinge

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