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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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diese und ihre Schwester Rózinka zitternd am Lagertor standen, brachte er ihnen »zwei Paar warme Schuhe: fellbesetzte Stiefel. Alle anderen trugen mit Zeitungspapier ausgelegte Holzschuhe. Er riskierte für uns sein Leben.« Wunsch teilte ihr mit, daß er zur Front geschickt würde, aber daß seine Mutter in Wien sich um sie und ihre Schwester kümmern würde, weil sie als Juden nach dem Krieg »keine andere Bleibe« haben würden. Er drückte ihr ein Stück Papier mit der Adresse seiner Mutter in die Hand. Aber nachdem er gegangen war, erinnerte sich Helena an die Worte ihres Vaters: »Vergiß nicht, wer du bist.« Er hatte ihr eingeschärft, immer daran zu denken, daß sie Jüdin war und es auch immer bleiben würde. Daraufhin warf sie den Zettel mit der Adresse von Wunschs Mutter weg.
    Und so begaben sich die beiden Frauen im Schneetreiben auf den Weg nach Westen. Helena beschreibt diese ersten Tage als »unglaublich hart«. Sie mußte mit ansehen, wie andere Gefangene um sie herum »im Schnee hinfielen. Sie hatten keine Kraft mehr und starben. Jeder dachte nur an sich selbst. Es herrschte völliges Chaos. Wer lebte, der lebte. Wer starb, der starb.«
    Die 19jährige Ibi Mann 6 , die im vorangegangenen Jahr aus der Tschechoslowakei nach Auschwitz gekommen war, wird die Strapazen dieses Marschs nie mehr vergessen: »Sie haben uns mitten in der Nacht zusammengetrieben. Wir hatten keine Ahnung, wie spät es war. Wir wußten gar nichts. Wir waren völlig von der Welt abgeschnitten.« Trotz eines sowjetischen Bombenangriffs ganz in der Nähe bestanden die Nationalsozialisten darauf, die Gefangenen zu zählen und sie anschließend in Fünferreihen loszuschicken: »Jeder, der sich auch nur bückte, der nur einen Moment stehenblieb, wurde erschossen.« Wie so viele andere Häftlinge, die überlebten, mußte Ibi Mann die Reise nicht alleine bewältigen; ihre Schwester begleitete sie und machte ihr Mut. »Ich sagte: ›Das ist das Ende. Ich kann keinen Schritt weitergehen‹, [aber] sie zog mich weiter.« Nachts schliefen sie in Scheunen, einmal sogar in einem Schweinestall oder auch im Freien, unter kahlen Bäumen und Hekken. Ibi und ihre Schwester gehörten zu den letzten, die das Lager verließen, und auf ihrem Weg kamen sie an Gräben voller Leichen vorbei. Sie kämpften sich durch den Schneematsch, der ihre dünnen Schuhe durchweichte, so daß sich Blasen und wunde Stellen bildeten. Keine der beiden Frauen verspürte Hunger, nur schrecklichen Durst, den sie nie stillen konnte. Sie wußten, daß sie sich auf keinen Fall bücken durften, um eine Handvoll Schnee zu essen, weil man sie dann erschießen würde. Vor diesem Hintergrund gesehen, ist es kaum vorstellbar, daß die Nationalsozialisten glaubten, diese ehemaligen Insassen von Auschwitz könnten ihnen noch nützlich sein. Zu diesem Zeitpunkt des Kriegs war die deutsche Rüstungsindustrie jedoch auf Sklavenarbeit angewiesen: Ende 1944 arbeitete immerhin eine halbe Million Zwangsarbeiter in deutschen Fabriken.
    Für ihre Transporte ins Reich benutzten die Nationalsozialisten zwei Routen: die eine in nordwestlicher Richtung über Mikolów zum knapp 50 Kilometer entfernten Eisenbahnknotenpunkt Gliwice (Gleiwitz), die andere in westlicher Richtung, zum etwa 60 Kilometer entfernten Bahnhof von Wodzislaw. Aber auch für die, die den Marsch überlebten und in den Zug stiegen, der sie in Lager nach Deutschland oder Österreich bringen sollte, war das Martyrium längst nicht zu Ende. Ibi und ihre Schwester wurden in Waggons getrieben, die »einen halben Meter Schnee enthielten«. Die Gefangenen wurden so dicht zusammengepfercht, daß der Platz oft nicht einmal ausreichte, um sich hinzusetzen.
    Morris Venezia 7 , der als Mitglied eines Sonderkommandos in Auschwitz gearbeitet hatte, war einer der wenigen Gefangenen, die sich in einem der offenen Güterwagen einen Sitzplatz ergattert hatten. Auch er erinnert sich an die extreme Kälte und den Schnee, der sich auf ihn und seine Freunde legte. Viele seiner Kameraden gaben auf und starben, und er mußte dann ihre Leichen aus dem Zug werfen. Auch die folgende Begebenheit dieser mörderischen Reise ist ihm noch in deutlicher Erinnerung:
    In Morris’ Waggon befand sich ein deutscher Gefangener, der so lange im Schnee gestanden hatte, daß ihm vor Erschöpfung die Beine wegknickten. Er vereinbarte mit Morris, daß er sich für ein paar Zigaretten eine Weile auf Morris’ Platz setzen dürfte. Morris erhob sich, nahm die Zigaretten

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