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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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Rahmen ihrer großangelegten Umgestaltungsmaßnahmen abgerissen. Und so kam die Familie in einem Stall unter, der zuvor als Hühnerhaus gedient hatte. Um irgendwie zu Geld zu kommen, gingen Józefa und ihre Freunde zu den zerstörten Krematorien in Birkenau und suchten nach Gold. Sie hoben Erde aus, die mit Knochenstückchen durchsetzt war, füllten sie in eine Schüssel und wuschen das Gold mit Wasser aus. »Keinem von uns war wohl dabei«, erzählt Józefa. »Egal, ob die eigenen Angehörigen im Lager umgekommen waren oder nicht, wir hatten alle ein mulmiges Gefühl. Schließlich waren es menschliche Knochen. Es hat wirklich keinen Spaß gemacht. Aber unsere Armut hat uns dazu gezwungen.« Mit dem Geld, daß sie mit dem Verkauf des Goldes verdienten, konnte sich Józefas Familie eine Kuh kaufen.
    Der Pole Jan Piwczyk fand ebenfalls in einem alten Hühnerstall in der Nähe von Birkenau Unterschlupf. Auch er gesteht, daß er in der Umgebung der zerstörten Krematorien nach Wertgegenständen suchte: »Ich erinnere mich, daß ich einen Goldzahn fand, eine jüdische Münze und ein goldenes Armband. Also heute würde ich so etwas natürlich nicht machen. Ich würde nicht zwischen menschlichen Überresten herumwühlen, weil ich weiß, daß das eine Entweihung ist. Aber damals blieb mir gar nichts anderes übrig.« Jan und seine Freunde bestachen auch sowjetische Soldaten, die gelegentlich auf Patrouille vorbeikamen, damit sie sich von den Baracken in Birkenau Holz holen und neue Häuser bauen konnten. »Wissen Sie, nach dem Krieg war das Leben sehr hart«, sagt Jan. »Man mußte wieder bei null anfangen.«
    Direkt nach dem Krieg arbeitete der ehemalige politische Gefangene Stanislaw Hantz – der Rudolf Höß’ Hinrichtung miterlebt hatte – als Wache an der Todesstätte von Birkenau. Er versuchte, die Einheimischen daran zu hindern, die Überreste der Krematorien auszuplündern, indem er über ihre Köpfe Warnschüsse abgab. »Wir nannten sie ›Friedhofshyänen‹, erzählt er. »Es war uns unbegreiflich, wie diese Leute das Massengrab durchwühlen konnten.« Auch wenn er nicht auf seinem Posten in Birkenau war, wußte er sofort, wenn einer von ihnen in der Nähe war: »Man konnte sie an ihrem Geruch erkennen. Sie rochen schon von weitem. Es war der Verwesungsgeruch von Leichen. Es brauchte nur einer von ihnen die Straße entlangzugehen, und man wußte Bescheid.«
    Es dauerte noch Jahre, bis der Schauplatz des Massenmords in Auschwitz in eine würdige Gedenkstätte umgewandelt wurde. Tatsächlich wurde erst nach dem Zusammenbruch des Kommunismus am Museum eine Gedenktafel angebracht, die in gebührender Weise an die Leiden der Juden erinnert.
    In der Zwischenzeit hatte der ehemalige SS-Rottenführer aus Auschwitz, Oskar Gröning, eine Stelle in einer Glashütte bekommen, wo er sich hocharbeitete. Schließlich wurde er sogar zum ehrenamtlichen Richter am Arbeitsgericht berufen. Ohne sich der Ironie seiner Worte bewußt zu sein, sagt Oskar Gröning heute, daß ihm als Personalleiter seine Erfahrungen bei der SS und in der Hitlerjugend zugute gekommen seien: »Denn seit meinem zwölften Lebensjahr weiß ich, was Disziplin bedeutet.«
    Obwohl er in den Vernichtungsprozeß in Auschwitz miteinbezogen war, indem er die den Neuankömmlingen geraubten Devisen sortiert und gezählt hatte, fühlte er sich keines Vergehens »schuldig«: »Wir zogen eine Trennungslinie zwischen denjenigen, die direkt am Tötungsprozeß beteiligt waren, und jenen, die es nicht waren.« Darüber hinaus berief er sich darauf, nur Befehle ausgeführt zu haben, und versuchte sich mit folgender Analogie zu rechtfertigen: »Wenn eine Kompanie zum ersten Mal unter Beschuß gerät, stehen auch nicht alle auf und sagen: ›Also damit sind wir nicht einverstanden. Wir gehen heim.‹«
    Einen ähnlichen Standpunkt vertraten auch westdeutsche Staatsanwälte nach dem Krieg, als es zu entscheiden galt, welche SS-Angehörigen aus Auschwitz der Kriegsverbrechen angeklagt werden sollten und welche nicht. Ein Mitglied der SS, das weder eine führende Position innehatte noch direkt am Tötungsprozeß beteiligt war, entging in der Regel einer Anklage. Aus diesem Grund wurde auch Oskar Gröning nicht vor Gericht gestellt, als man nach dem Krieg seine Vergangenheit aufdeckte – was angesichts der Tatsache, daß er weder seinen Namen änderte noch untertauchte, nicht schwierig war. So erklärt es sich, weshalb ein SS-Angehörige aus Auschwitz, der nicht nur Zeuge der

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