Auschwitz
Männern wie Gröning sofort entgegenhalten, daß die deutsche Führung die Bombardierungen durch ihre Kapitulation hätte sofort abstellen können; daß die Ermordung der Juden eine ideologisch begründete Maßnahme war; daß die Bombardements sich nicht gegen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe richteten, während die Deutschen nur eine spezielle Kategorie von Menschen umbrachten; daß die Bombenangriffe in erster Linie auf die Zerstörung von Städten und Gebäuden abzielten und nicht auf die Ermordung von Menschen; daß die Judenverfolgung vor der Bombardierung deutscher Städte einsetzte (beispielsweise Eichmanns grausamer Nisko-Plan) und deshalb keine Reaktion auf die Angriffe gewesen sein kann; daß jeder Vergleich zwischen den pragmatisch denkenden Militärstrategen der Alliierten und leidenschaftlichen Judenhassern wie Hitler, Heydrich und Eichmann absurd ist. Und schließlich gibt es noch ein Argument, daß häufig auf Seiten der ehemaligen Kriegsgegner ins Feld geführt wird: »Die Deutschen haben doch damit angefangen. Sie haben britische Städte bombardiert, noch bevor die Briten Berlin angriffen.« Dies ist natürlich das schwächste Argument von allen, denn kein Verhalten läßt sich dadurch rechtfertigen, daß die andere Seite damit begonnen hat.
Obwohl es also genügend Gründe gibt, zwischen diesen beiden Vernichtungsstrategien klar zu trennen und den Vergleich, den Höß und andere Nationalsozialisten anstellten, zurückzuweisen, hinterläßt die ganze Frage ein gewisses Unbehagen: Zum einen weiß man inzwischen, daß im Alliierten Oberkommando durchaus Bedenken gegenüber den Bombardierungsplänen bestanden – vor allem gegen Ende des Krieges von seiten Churchills. Zum anderen ist seit einigen Jahren bekannt, daß die Alliierten im Frühjahr 1945 ihre Bombenziele unter anderem nach dem Kriterium der »Brennbarkeit« auswählten (was zur Zerstörung von mittelalterlichen Städten wie Würzburg führte). Und schließlich ist die Tatsache beunruhigend, daß diese Strategie der Flächenbombardierungen unweigerlich zu einer emotionalen Distanz zum Akt des Tötens führte. »Es war nicht so, als würde man jemandem ein Bajonett in den Bauch stoßen«, erzählt Paul Montgomery 28 , Besatzungsmitglied einer amerikanischen B 29, die im Zweiten Weltkrieg über zahlreichen japanischen Städten Brandbomben abwarf. »Natürlich tötet man, aber man tötet aus großer Distanz, und es hat nicht die demoralisierende Wirkung auf einen, die es sicher hätte, wenn man jemandem im Kampf ein Bajonett in den Bauch rammt. Es ist einfach anders. Es ist ein bißchen wie bei diesen Video-Kriegsspielen.«
In gewisser Hinsicht versuchten die Deutschen mit dem Bau ihrer Gaskammern denselben »Distanzierungseffekt« zu erreichen. Ebenso wie es leichter war, Bomben zu werfen, als jemanden mit dem Bajonett zu erstechen, war es einfacher, jemanden zu vergasen, als ihn zu erschießen. Die neuen Technologien des 20. Jahrhunderts ermöglichten es nicht nur, in einem Krieg mehr Menschen zu töten als je zuvor, sondern stellten darüber hinaus sicher, daß die Beteiligten weniger seelische Schäden davontrugen.
Dennoch ist der Gleichsetzung zwischen den Bombardements der Alliierten und der Ermordung von über einer Million Menschen in Auschwitz unzulässig. Die Tatsache, daß Männer wie Höß das Bombardieren und Vergasen von Menschen lediglich als unterschiedliche »Kriegsstrategien« betrachteten, als zwei verschiedene Methoden, den Feind zu vernichten, macht deutlich, daß wohl keine noch so erniedrigende Strafmaßnahme – wie Stanislaw Hantz sie sich wünschte – Höß dazu bewegt hätte, seine Taten zu bereuen. Als Höß die Stufen zum Galgen hinaufging, haben ihn wahrscheinlich nur zwei Gedanken bewegt: »Ich sterbe nicht, weil ich ein Verbrecher bin, sondern weil wir den Krieg verloren haben«, und: »Ich sterbe als völlig verkannter Mensch.« Dies ist letztlich auch der Grund, weshalb ein äußerlich so nichtssagender Mann wie Höß eine solche Schreckensgestalt für uns ist.
Nach Höß’ Tod im Jahre 1947 begann der Lagerkomplex, den er aufgebaut hatte, rasch zu verfallen. Einheimische aus der näheren Umgebung rissen in Birkenau Baracken nieder, um mit dem Holz ihre Häuser auszubessern. Es wurden aber auch ganz andere Dinge entwendet. Als die Polin Józefa Zielinska, damals ein Teenager, mit ihrer Familie nach dem Krieg nach Auschwitz zurückkehrte, war ihr Elternhaus verschwunden. Die Deutschen hatten es im
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