Auschwitz
politischen Linie betreffend das Schicksal der Juden aus dem Deutschen Reich: Himmler protestierte gegen Erschießungen in Riga, hatte aber nichts gegen die in Kaunas einzuwenden. Trotz dieser Verworrenheit gibt es aber viele Hinweise, daß die Entscheidung, die deutschen Juden nach Osten zu schicken, ein Wendepunkt war. Im Oktober äußerte Hitler bei seinen Tischgesprächen: »Sage mir keiner: Wir können sie [die Juden] doch nicht in den Morast schicken! Es ist gut, wenn uns der Schrecken vorangeht, daß wir das Judentum ausrotten.« 18 Und es ist klar, daß in jenem Herbst in der NS-Führung auch darüber diskutiert wurde, alle Juden im deutschen Machtbereich nach Osten zu schicken.
Mit der Entscheidung zur Deportation der Juden aus dem Reich hatte Hitler einen Kausalzusammenhang geschaffen, der schließlich zu ihrer Vernichtung führen mußte. In der Sowjetunion wurden bereits Männer, Frauen und Kinder von den Tötungseinheiten erschossen. Wenn man jetzt Juden aus dem Reich in genau jene Gebiete deportierte, was würde nach Hitlers Ansicht wohl mit ihnen geschehen? Es war nur eine schmale Trennlinie zwischen der Tötung der ortsansässigen Juden und der Tötung der aus dem Reich ankommenden Juden – wie Jeckelns Aktion in Riga gezeigt hat. Für die NS-Führung im Generalgouvernement wurde die Trennlinie noch undeutlicher, als Ostgalizien, im Osten Polens und angrenzend an die Schlachtfelder in der Sowjetunion, im Kriegsverlauf zusätzlich unter ihre Kontrolle kam. Die Einsatzgruppe hatte seit Wochen galizische Juden ermordet, und es würde den Behörden schwerfallen zu erklären, wieso in einem Teil des Generalgouvernements Juden erschossen wurden und in einem anderen nicht.
Das bedeutet nicht, daß Hitler und die NS-Führung im Herbst 1941 eine eindeutige Entscheidung gefällt hätten, alle Juden unter deutscher Kontrolle zu ermorden. Zum einen gab es noch gar nicht die Kapazitäten, ein solches Verbrechen zu begehen. Die einzigen im Bau befindlichen Tötungseinrichtungen waren ein Gaswagen in Chełmno und eine kleine feste Gaskammer in Bełżec. Etwa zu dieser Zeit wurde auch einer deutschen Firma ein Auftrag zum Bau eines Krematoriums mit 32 Verbrennungskammern in Mogilew in Weißrußland erteilt, was manche als Beweis für die (nicht ausgeführte) Absicht sehen, noch ein Vernichtungszentrum fern im Osten zu bauen. Aber all diese Initiativen kann man erklären mit dem Wunsch der örtlichen Verwaltung, die einheimischen Juden zu töten, entweder um Raum für die ankommenden Juden aus dem Reich zu schaffen oder um diejenigen Juden ihres Bereichs zu ermorden, die nicht arbeitsfähig und ihnen nicht mehr »nützlich« waren. In Auschwitz jedenfalls wurden im Herbst 1941 keine Pläne gemacht, die Tötungskapazitäten im Lager zu steigern. Sicher, es wurde ein neues Krematorium gebaut, aber das solle nur das alte im Hauptlager ersetzen.
Geklärt wurde der verworrene Stand der Dinge durch Ereignisse, die sich auf der anderen Seite der Hemisphäre abspielten. Am 7. Dezember bombardierten die Japaner die amerikanische Pazifikflotte in Pearl Harbor. Nach der darauffolgenden Kriegserklärung der USA an die Japaner erklärte am 11. Dezember Deutschland, als Verbündeter Japans, den USA den Krieg. Für Hitler waren diese Abläufe »Beweise« dafür, daß das »internationale Judentum« einen Weltkrieg angezettelt hatte, und in einer Radiosendung unmittelbar nach der Kriegserklärung sagte er ausdrücklich, »die Juden« manipulierten Präsident Roosevelt genauso wie seinen anderen großen Feind Josef Stalin.
In einer Rede vor Gauleitern und Reichsleitern am folgenden Tag ging Hitler sogar noch weiter. Er verband jetzt den Beginn dieses »Weltkriegs« mit seiner am 30. Januar 1939 im Reichstag geäußerten »Prophezeiung«, wo er gedroht hatte, wenn es den Juden »gelingen sollte, die Völker Europas noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen«, dann würde »die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« das Ergebnis sein. Am 13. Dezember schrieb Propagandaminister Joseph Goebbels in sein Tagebuch: »Bezüglich der Judenfrage ist der Führer entschlossen, reinen Tisch zu machen. Er hat den Juden prophezeit, daß, wenn sie noch einmal einen Weltkrieg herbeiführen würden, sie dabei ihre Vernichtung erleben würden. Das war keine Phrase gewesen. Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung der Juden muß die notwendige Folge sein. Diese Frage ist ohne jede Sentimentalität zu betrachten.«
Einen weiteren Beweis, daß
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