Auschwitz
Außenseiter kamen da nicht rein. Als ich versuchte, meine Schwester in der Hutfabrik unterzubringen, war das fast unmöglich, denn die Antwort, die die Direktoren dieser Fabriken gaben, war: ›Was bekomme ich dafür?‹ Im Ghetto wurde für alles bezahlt, so oder so. Und die Preise waren hoch – billig war nichts. Aber das hatte das Leben im Ghetto eben aus den Menschen gemacht. Ob sie vor dem Krieg genauso gewesen waren, bezweifle ich sehr. Ich war siebzehn. Ich war absolut entsetzt.«
Die bereits im Ghetto lebenden Menschen war aufgebracht wegen der Ankunft der Deutschen. Aber auch bei der NS-Führung im Warthegau rief ihre Anwesenheit Unwillen hervor. Es hatte Proteste gegeben, sobald Himmler die Zahl von 60 000 Juden genannt hatte, die vom »Altreich« nach Łódz deportiert werden sollten. Daraufhin war die Zahl auf 20 000 Juden und 5000 »Zigeuner« reduziert worden. Aber schon dieser Zustrom stellte den Gauleiter Arthur Greiser vor größte Schwierigkeiten. Zusammen mit Wilhelm Koppe, dem Höheren SS- und Polizeiführer im Warthegau, suchte er nach Lösungen für das Problem der Überfüllung des Ghettos. In Anbetracht dessen, daß im Osten seit dem Sommer 1941 Mord immer wieder die Antwort für diese Art Krise gewesen war, ist es kaum überraschend, daß sie bei ihren Überlegungen auch auf Tötungsmethoden kamen. Sie wandten sich an SS-Hauptsturmführer Herbert Lange, unter dessen Leitung ein »Sonderkommando« in Ostpreußen Behinderte ermordet hatte. Dafür hatten er und seine Leute unter anderem einen Gaswagen mit luftdicht abgeschlossenem Aufbau eingesetzt, in den Kohlenmonoxid aus Flaschen eingleitet wurde. Solche Gaswagen betrachteten die Nationalsozialisten nun als angemessene Antwort auf die plötzliche Überfüllung des Ghettos von Łódz.
Seinem Fahrer Walter Burmeister zufolge hatte Lange im Spätherbst auch den geeigneten Ort für Gaswagen im Warthegau gefunden. Laut Burmeister habe Lange gesagt, er habe den Befehl, ein Sonderkommando aufzustellen; absolute Geheimhaltung sei erforderlich. Man habe eine harte, aber wichtige Aufgabe zu erledigen. 17 In dem kleinen Dorf Chełmno, 70 Kilometer nordwestlich von Łódz, bereiteten Lange und seine Leute ein Gutshaus, das sogenannte Schloß, für den Massenmord vor. Chełmno, nicht Auschwitz sollte der erste Ort der Tötung für die im Ghetto von Łódz selektierten Juden werden.
Am 1. November begannen wiederum die Arbeiten an einem Lager bei Bełżec im Distrikt Lublin in Ostpolen. Die Belegschaft, einschließlich des ersten Lagerkommandanten Christian Wirth, kam aus dem Euthanasieprogramm. Bełżec scheint wie Chełmno mit der Absicht gegründet zu sein, einen Ort zu schaffen, an dem »unproduktive« Juden der Umgebung getötet werden konnten. Aber im Gegensatz zu Chełmno wurden in Bełżec von Anfang an feste Gaskammern geplant und gebaut, an die dann Maschinen angeschlossen werden sollten, die Kohlenmonoxidgas produzierten. Es war also die logische Folge der Vergasungsversuche, die Widmann im September 1941 im Osten durchgeführt hatte.
Die Deportation der Juden aus dem »Altreich« ging derweil weiter. Von Oktober 1941 bis Februar 1942 wurden insgesamt 58 000 Juden an verschiedene Bestimmungsorte im Osten deportiert, darunter das Ghetto Łódz. Wohin sie auch geschickt wurden, überall mußten die NS-Behörden bei ihrer Ankunft erst einmal improvisieren, manchmal im Auftrag Berlins, manchmal in Eigeninitiative. Rund 7000 Juden aus Hamburg wurden nach Minsk in Weißrußland geschickt und dort in einem Teil des Ghettos untergebracht, der gerade erst für sie »freigemacht« worden war, indem man 12 000 sowjetische Juden aus Minsk und Umgebung erschossen hatte. Juden aus München, Berlin, Frankfurt und anderen deutschen Städten wurden nach Kaunas in Litauen geschickt, wo rund 5000 von ihnen von Mitgliedern des Einsatzkommandos 3 bei der Ankunft erschossen wurden. Sie waren die ersten nach Osten transportierten Juden, die bei der Ankunft ermordet wurden. Ein anderer Transport aus Berlin erreichte am 30. November Riga in Lettland, und alle wurden ebenfalls gleich bei der Ankunft erschossen. Aber diese Aktion war gegen Himmlers Wunsch; er hatte zuvor Heydrich angerufen mit der Botschaft: »Judentransport aus Berlin. Keine Liquidierung.« Friedrich Jeckeln, der SS-Kommandeur, der die Exekution angeordnet hatte, wurde später von Himmler gemaßregelt.
Wie diese Ereignisse zeigen, bestand im Herbst 1941 wenig Einheitlichkeit in der
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