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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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dafür, die Juden zu beschäftigen, während sein Stellvertreter Alexander Palfinger – im Widerspruch zum Augenschein – meinte, die Juden hätten vielleicht doch noch Geld, und man sollte ihnen Nahrungsmittel verweigern. Und wenn er sich täuschte und sie ihren Unterhalt nicht mehr bezahlen könnten, dann wäre »uns das rasche Absterben der Juden … völlig gleichgültig, um nicht zu sagen wünschenswert. 16
    Biebow setzte sich durch, und es wurden Werkstätten innerhalb des Ghettos errichtet; es sollten fast hundert werden, und die meisten stellten Textilien her. Wer Arbeit hatte, bekam mehr zu essen als die anderen; damit war das Prinzip etabliert, das sich in den NS-Verwaltungen allgemein durchsetzen sollte: die strikte Unterscheidung zwischen den Juden, die die Deutschen als »produktiv« betrachteten, und denen, die sie für »unnütze Esser« hielten. Die Nationalsozialisten gewährten dem Judenrat im Ghetto von Łódz, hier Ältestenrat genannt, unter seinem Vorsitzenden Mordechai Chaim Rumkowski weitgehende Autonomie bei der Verwaltung. Der Ältestenrat organisierte den Fabrikbetrieb, die Verteilung der Lebensmittel, die Ghettopolizei und viele andere Aufgaben. Damit machte er sich bei den übrigen Juden im Ghetto nicht gerade beliebt. »Die bekamen Sonderrationen«, sagt Jacob Zylberstein. »Sie hatten bestimmte Läden, in denen sie ihre Nahrungsmittel einkaufen konnten, was angenehm war. Genug, um ordentlich zu leben. Ich war sehr böse, daß eine Auswahl von Leuten im Ghetto so versorgt war und die anderen übergangen wurden.«
    Das also war die Welt, in die Lucille Eichengreen, ihre Schwester und ihre Mutter im Oktober 1941 verschlagen waren – ein überfüllter, von Krankheiten heimgesuchter Ort, an dem die meisten Bewohner hungerten, aber manche besser lebten als die anderen. Als späte und nicht erwünschte Ankömmlinge mußten die deutschen Juden sehen, wo sie unterkamen. »Wir schliefen auf dem Fußboden in einem Klassenzimmer«, sagte Lucille. »Es gab keine Betten, kein Stroh, nichts. Einmal am Tag bekamen wir Suppe und ein kleines Stück Brot.« Jacob Zylberstein erinnert sich an die Ankunft der deutschen Juden und sagt: »Sie waren eindeutig sehr niedergeschlagen. Ich glaube, weil sie [die deutschen Juden] normalerweise auf die polnischen Juden herabsahen – wir waren ja entschieden eine Stufe unter ihnen. Und ganz plötzlich wurde ihnen klar, daß sie auf dasselbe Niveau herabgesunken waren, oder vielleicht noch tiefer, weil sie nicht unter solchen Umständen leben konnten, wie wir es taten.«
    Die deutschen Juden begannen den polnischen Juden ihre Habe zu verkaufen, um sich etwas zu essen oder bessere Lebensbedingungen zu verschaffen. Lucille Eichengreen hatte Glück. Da ihre Familie polnischer Abstammung war, hatten sie es ein bißchen leichter beim Handeln. »Meine Mutter tauschte ihre Seidenbluse für etwas Brot und Butter, und sie machte das sehr gut, weil sie die Sprache beherrschte. Ein paar Wochen später verkaufte ich ein Ledertäschchen an eine junge Frau, die Brot anzubieten hatte. Es war mitleiderregend, die Käufer und die Verkäufer anzusehen. Viele von ihnen waren abgerissen. Wir sahen noch vergleichsweise wohlhabend aus – wir trugen noch so etwas Ähnliches wie westliche Kleidung und waren noch nicht so ausgehungert wie die Menschen von dort. Die kamen zum Beispiel in das Schulhaus und sagten: ›Ich hab ein Zimmer, wenn du mal eine Nacht in einem Bett schlafen willst, kostet das entweder eine Scheibe Brot oder soundsoviel deutsches Geld, dann kommst du für eine Nacht aus der Schule heraus.‹ Solche Angebote gab es.«
    Die deutschen Juden merkten schnell, daß sie sich, wenn sie eine Chance zum Überleben haben wollten, eine Arbeit innerhalb des Ghettos besorgen mußten. Aber eine Anstellung zu bekommen war schwierig, nicht zuletzt, weil es Reibungen zwischen deutschen und polnischen Juden gab. »Die vom ersten deutschen Transport hatten viel auszusetzen an der Art, wie die Dinge im Ghetto gehandhabt wurden«, sagt Lucille. »Es gab so Bemerkungen wie: ›Das ist nicht in Ordnung … Das ist nicht korrekt … Das bringen wir denen noch bei.‹ Man kann aber nicht in ein fremdes Haus eintreten und die Möbel umstellen – und genau das versuchten sie zu tun.« Das größte Problem für die deutschen Juden war der Mangel an »Beziehungen« innerhalb des Ghettos. »Es war im Grunde ein ziemlich korruptes System«, sagt Lucille. »Hilfst du mir, helf ich dir.

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