Auschwitz
Schloß zurückgebracht und über Nacht eingesperrt. Alle paar Wochen wurden auch sie regelmäßig ermordet und Juden aus den neuen Transporten für diese Aufgabe ausgesucht.
Die Zustände im Wald wurden bald unerträglich, wie Zofia aus erster Hand von einem der Deutschen des »Waldkommandos« erfuhr, der die Beseitigung der Leichen beaufsichtigte: »Er war in unserem Haus einquartiert, und er rief mich immer zu sich und sagte: ›Putz mir die Schuhe!‹ Und dann fragte er immer: ›Stinkt es?‹ Und ich sagte: ›Ja.‹ Der Gestank war penetrant. Die Leichen verwesten. Es stank ganz entsetzlich. Sie hatten die Leichen in flachen Gruben begraben, doch dann wurde es warm, und die Leichen begannen zu gären.«
Kurt Moebius war einer der deutschen Wachleute in Chełmno und kam später wegen Kriegsverbrechen vor Gericht. Während seiner Vernehmung in Aachen im November 1961 gab er Einblicke in die Mentalität der Täter, die an den Morden beteiligt waren: »Hauptsturmführer Lange hatte uns gesagt, daß die Befehle zur Vernichtung der Juden von Hitler und Himmler kamen. Und wir waren als Polizeibeamte so gedrillt, daß wir alle Befehle der Staatsführung als rechtmäßig ansahen. Damals glaubte ich, daß die Juden nicht unschuldig, sondern schuldig waren. Das hat uns die Propaganda doch immer wieder eingebleut, daß alle Juden Verbrecher und Untermenschen sind und daß sie schuld waren an Deutschlands Niedergang nach dem Ersten Weltkrieg.« 22
Das Vernichtungslager Chełmno war hauptsächlich zur Ermordung der Juden aus dem Ghetto Łódz (Litzmannstadt) errichtet worden, die nicht mehr arbeitsfähig waren, und der erste Transport zu dem neuen Vernichtungslager ging am 16. Januar 1942 von Łódz ab. Lucille Eichengreen, die inzwischen drei Monate im Ghetto von Łódz lebte, beschreibt die Stimmung, die dort herrschte: »Wir wollten nicht weg. Wir dachten uns, das Elend, das wir kannten, sei besser als ein Elend, das wir noch nicht kannten.« Jetzt, da die Juden im Ghetto zusätzlich dem Druck ausgesetzt waren, Selektionen für die Deportationen vorzunehmen, war das Leben dort noch bedrückender geworden.
Chełmno war ein Meilenstein an der Straße zur »Endlösung«, das erste nationalsozialistische Vernichtungslager im besetzten Europa. Doch die Anlage konnte nur deshalb innerhalb so kurzer Zeit in Betrieb genommen werden, weil ein großes Gebäude zur Verfügung stand, das in aller Eile zu einer Todesfabrik umgebaut wurde, und weil die Technik der Gaswagen zur Verfügung stand. Aus der Sicht der NS-Mörder war sie somit von vornherein ineffizient. Der wahre Zweck des Lagers konnte nicht geheimgehalten und die Leichen konnten nicht adäquat beseitigt werden – »Mängel«, die behoben waren, als das neue Vernichtungslager Bezzec, an dem zur selben Zeit gebaut wurde, schließlich fertiggestellt war.
Inzwischen, am 20. Januar, vier Tage nach dem ersten Judentransport aus dem Ghetto Łódz in das Lager Chełmno, fand in einer Villa der SS am Berliner Wannsee eine Zusammenkunft statt. Diese Veranstaltung ist als das wichtigste Ereignis in der Geschichte der nationalsozialistischen »Endlösung« zu einer traurigen Berühmtheit gelangt, die sie eigentlich nicht verdient hat. Ihr Initiator Reinhard Heydrich hatte mehrere Staatssekretäre zur Teilnahem an einer Erörterung von Problemen im Zusammenhang mit der »Judenfrage« eingeladen. Der Einladung beigelegt war eine Kopie der »Bestellung« Heydrichs zum »Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage« durch Göring am 31. Juli 1941. (An dieser Stelle ist noch einmal, wie bereits im 1. Kapitel erörtert, daran zu erinnern, daß der Begriff »Endlösung« im Juli 1941 aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht dieselbe Bedeutung hatte wie im Januar 1942.) Die Villa, in der die Konferenz stattfand, hatte die Adresse Am Großen Wannsee 56–58 und war ein Gästehaus der SS. Mir erscheint der Hinweis angebracht, daß die Teilnehmer an der Konferenz hohe Staatsbeamte einer der großen Nationen Europas waren und keine Untergrundterroristen, wiewohl ihre Verbrechen monströser sein sollten als alle herkömmlichen »verbrecherischen« Handlungen der Menschheitsgeschichte. Und von fünfzehn Teilnehmern hatten mehr als die Hälfte den Doktortitel erworben.
Ursprünglich waren die Einladungen im November des Vorjahrs ergangen, und als Datum wurde der 9. Dezember genannt, doch der Angriff auf Pearl Harbor hatte eine Verschiebung der Konferenz
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