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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurence Rees
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des Kommandanten erklärte, er selbst habe ihm erlaubt, die beiden Eimer mit Zwiebeln und Tomaten mitzunehmen, stellte er sich als den Schuldigen hin, der für den Diebstahl bestraft werden müsse. Schließlich, wenn man Gärtnern wie ihm erlaubte, sich mit dem Gemüse zu bedienen, warum war es dann nötig, überhaupt den heimlichen Ausflug in diesen Garten zu planen? Doch Stasiu wußte, daß Höß’ Frau ihm sehr wahrscheinlich vergeben würde, da sie eine Arbeitsbeziehung miteinander hatten. Natürlich wäre diese von den SSMännern als eine Beziehung zwischen einer überlegenen »Arierin« und einem minderwertigen »Sklaven« definiert worden, aber es war nichtsdestoweniger eine Beziehung. Wenn sie Stasiu angezeigt hätte, dann hätte sie nicht die Bestrafung eines namenlosen Häftlings verlangt, den sie beim Stehlen ertappt hatte – etwas, das sie ohne weiteres hätte tun können –, sondern das Leiden eines Menschen, mit dem sie eine Zeitlang eng zusammengearbeitet hatte.
    Während der Existenz dieses Lagers kam es immer wieder zu einer derartigen Dynamik. Häftlinge schildern, daß die beste Methode, soweit wie möglich das eigene Überleben zu sichern (nachdem man eine Arbeit »unter einem Dach« ergattert hatte), darin bestand, sich bei einem bestimmten Deutschen unentbehrlich zu machen. Wenn dieser Deutsche von einem Häftling abhängig war, dann würde er sich um diesen kümmern und ihn vielleicht sogar vor Strafen oder in bestimmten Fällen sogar vor dem Tod schützen.
    Es ging weniger darum, daß es gelegentlich zu einer echten gegenseitigen Sympathie kam, sondern darum, daß der Deutsche es als eine größere Unbequemlichkeit empfinden würde, wenn ein Häftling zur Strafe ermordet wurde und ein neuer Häftling gesucht und eingearbeitet werden mußte, der seinen Platz einnahm.
    Das Bemühen um eine Beziehung zu einer mächtigen Persönlichkeit, um das eigene Überleben zu sichern, beschränkte sich nicht auf die Häftlinge im Lager Auschwitz; es war auch ein alltäglicher Aspekt des Lebens im Ghetto. Nur hier konnte das Individuum mit der Macht über Leben und Tod ein Jude oder ein deutscher Nichtjude sein. Während die Monate im Ghetto Łódz dahingingen, sah Lucille Eichengreen, wie ihr Zustand und der ihrer Mutter und ihrer Schwester sich stetig verschlechterte. »Das Essen reichte nicht aus, uns am Leben zu erhalten«, sagt sie. »Es gab keine Milch, es gab kein Fleisch, und es gab kein Obst – es gab überhaupt nichts.« Die einzige Möglichkeit zur Besserung ihrer Lage sah sie darin, sich um eine Stellung zu bemühen, da dies »einen zusätzlichen Teller Suppe beim Essen« bedeutete. Also durchstreifte sie die Straßen des Ghettos von einer Fabrik zur nächsten auf der Suche nach Arbeit.
    Im Mai 1942 hatte Lucille Eichengreen noch immer keine Arbeit gefunden, und sie und ihre Angehörigen wurden auf die Deportationsliste gesetzt. »Sie alle [auf der Liste] hatten keine Arbeit, und etwa 90 Prozent von ihnen waren Neuankömmlinge.« Doch sie hatte gegenüber den anderen deutschen Juden auf der Liste einen wesentlichen Vorteil. Sie und ihre Familie hatten durch die Vorfahren des Vaters Verbindungen zu Polen. »Ich ging mit unseren polnischen Pässen von einem Büro zum nächsten, um eine Streichung von der Liste zu erreichen, und schließlich hatte ich Erfolg. Ich weiß nicht, wie, aber es klappte. Und wir konnten bleiben.« Lucille Eichengreen ist davon überzeugt, daß es ihre polnischen Wurzeln waren, was sie und ihre Angehörigen vorläufig gerettet hatte. »Sie wollten, daß alle deutschen Juden auf dem Transport das Ghetto verließen«, sagt sie. »Und ich konnte beweisen, daß wir zwar aus Deutschland kamen, aber keine Deutschen waren. Eigentlich hätte es keine Rolle zu spielen brauchen, schließlich waren wir alle Juden, aber auf der anderen Seite war es dann doch entscheidend.« Zwischen Januar und Mai 1942 wurden insgesamt 55 000 Juden aus dem Ghetto Łódz deportiert und in Chełmno ermordet. Die Deportationen als solche wurden zwar von den Deutschen befohlen, doch durch eine weitere zynische Maßnahme der Besatzer wurde die jüdische Führung des Ghettos gezwungen, an der Entscheidung darüber mitzuwirken, wer deportiert werden sollte.
    Für Lucilles Mutter wurde das harte Leben im Ghetto so unerträglich, daß sie »wirklich jegliches Interesse verlor. Sie unternahm kaum noch etwas. Ihr Bauch war vom Hunger angeschwollen, so daß sie nicht mehr richtig gehen konnte. Sie starb am

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